Elia Contini 03 - Das Verschwinden
also keine Zeit mit Höflichkeiten. »Wissen Sie, worum es bei dieser Dokumentation geht, die Rocchi zusammengestellt hat?«, fragte er.
»Nicht genau.« Kate starrte ihn unverwandt an. »Aber er hatte Beweise gegen Leute, so viel weiß ich immerhin. Warum habt ihr Savi nicht früher verhaftet?«
»Die Polizei hat diese Papiere nicht.« Contini winkte einem Kellner. »Ich erkläre Ihnen gleich alles.«
Kate bestellte Frühlingsrollen und Curryhuhn, Contini gebratene Ente in scharfer Soße. Und Bier und kantonesischen Reis für beide. Während sie warteten, berichtete Contini von Natalias Trauma und von den im Wald verloren gegangenen Papieren. Und er schloss: »Ich bin jedenfalls kein Polizist und verhafte niemanden.«
»Was bist du denn?«, fragte Kate.
»Weiß nicht. Ein Freund von Natalia.«
Kate sah ihn unverwandt an. Sie stellte keine weiteren Fragen und sah aus wie jemand, der weder zu viel wissen noch zu viel sagen will. Aber Contini hatte das Gefühl, dass allmählich ein gewisser Einklang zwischen ihnen entstand.
»Hast du Rocchis Dokumentation selber gesehen?«, fragte er.
»Manches kommt von mir, das habe ich ihm übergeben. Rocchi und ich, wir haben gemeinsam die Namen von Vickys Männern gesucht …«
»Hast du die noch im Kopf?«
»Nicht auswendig, aber wenn du mir einen Namen sagst, erkenne ich ihn wieder, glaube ich. Manche waren Stammkunden. Außerdem waren Vickys Papiere dabei, auch die gefälschten, und die Sachen, die Mankell unterschrieben hat. Und Fotos von Vicky, nachdem dieses Schwein sie zusammengeschlagen hat.«
»Was ist passiert, Kate?«
»Vicky war eine Freundin von mir, weißt du? Die Fotos habe ich gemacht. Mit meinem Telefon.«
Kate hatte die Tendenz, den springenden Punkt weiträumig zu umkreisen. Sicher hat sie Angst, dachte Contini, auch wenn sie eine ostentative Gleichgültigkeit ausstrahlte. Sie sprach unbeirrt und mit ruhigen Gesten, als erzählte sie eine alte Geschichte, ein Märchen, das sie beide kannten. Contini verspürte eine gewisse Seelenverwandtschaft mit ihr, er ahnte, dass auch sie gelernt hatte, Einmischungen in ihr Leben erfolgreich abzuwehren. Diese Ruhe war ihre Art, sich vor Angriffen zu schützen. Und die Angst zu überwinden. Contini wartete, bis der Kellner das Bier serviert hatte, und fragte dann: »Wer hat denn Vicky so zugerichtet?«
»Einer ihrer Männer. Er hat sie geschlagen, mehrmals, bis es ihr so schlecht ging, dass sie fast draufgegangen wäre. Savi und Mankell bekamen daraufhin Schiss und haben Vicky nach Hause geschickt. Aber Rocchi wusste Bescheid, und jetzt hatten sie Schiss vor ihm . Auch weil er ihre Papiere hatte. Vicky hat sie ihm gegeben, bevor sie verschwand.«
Contini begann zu begreifen. »Wo ist Vicky denn jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Vicky ist nach Hause zurück, und das ist weit weg.«
Kates Entgegenkommen war fast erschöpft. Sie hatte schon sehr viel gesagt, und sicher riskierte sie viel. Aber solange Rocchis Dokumentation nicht wieder auftauchte, war sie die Einzige, die berichten konnte, was im Tukan vorgefallen war.
»Kate, wer hat Vicky geschlagen?«
»Ich weiß nicht, wer er ist.«
»Aber wann ist es passiert? Warum bekamen Savi und Mankell Schiss?«
»Weil sie zu viel zu verbergen hatten. Aber das ist jetzt vorbei, ich will dir nur eines sagen.«
Contini, der seine Ente nicht mit Stäbchen aß, ließ Messer und Gabel sinken und blickte Kate erwartungsvoll an.
»Ihr müsst diese Papiere finden. Oder ihr müsst mit der Polizei Vickys Männer suchen. Savi ist tot, aber auch die anderen dürfen nicht einfach davonkommen.«
»Kate, wenn ich dich jetzt zur Polizei begleiten würde, müsstest du nicht …«
»Vicky ist nicht mehr da, Savi ist tot. Und ich bin in einer Woche weg, mit dem Flugzeug. Ich will nie mehr in die Schweiz zurück, und ich will keine Polizei.«
»Savi ist tot, aber es bleiben andere. Ferdi zum Beispiel, der …«
Kate verfinsterte sich. »Was weißt du von Ferdi? Von dem rede ich nicht.«
»Aber wenn du bereit wärst, auszusagen …«
»Ich habe kein Glück in letzter Zeit. Ich rede mit Rocchi, und Savi wirft mich raus, dann habe ich keine Arbeit. Jetzt reicht es, jetzt will ich weg.«
Contini wollte etwas einwenden, als sein Telefon läutete. Er war im Begriff, den Anruf wegzudrücken, erkannte aber die Nummer des Herausgebers. Mit einer entschuldigenden Geste stand er auf und entfernte sich ein paar Schritte.
»Hallo?«
»Contini!« Im Hintergrund liefen die
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