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Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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Giuseppe Motta entlang, überquert die Piazza Elvezia und ist in Italien.
    Es ändert sich nichts. Erst ist man in der Schweiz, dann überquert man die Staatsgrenze, und es beginnt Italien. Eine banale Angelegenheit, viele tun es mehrmals am Tag: ein beiläufiger Gruß an die Grenzer, die Hände in den Hosentaschen, ein Schritt zur Seite, um ein Auto durchzulassen. Und dann ist Italien.
    Aber selbst wenn es eine bloße Formalität erscheint – eine Grenze ist immer eine Grenze. Es kommen und gehen Kunstwerke, Millionen Euro und Franken, Erwerbstätige und Touristen, Leute, die ihr Glück suchen. Anderen hilft die Grenze beim Verschwinden. Und Kate will verschwinden, dachte Contini, während er sich einen Weg durch die Menge bahnte, Kate will von der Schweiz nichts mehr wissen.
    Kate hat hier nicht ihr Glück gefunden.
    Ehe sie in Mailand ins Flugzeug stieg, das sie mit wer weiß welchem Geld wer weiß wohin brachte, hatte Kate noch etwas zu erledigen. Deshalb hatte sie Contini eine SMS geschickt, und deshalb war er jetzt hier, an einem Tag, an dem Volksfest war, und zwängte sich zwischen Musikern und aufgebrezelten Mädchen hindurch. Auf der Bühne der Piazza Indipendenza trat eine Rockgruppe auf. Der Sänger, dessen Pferdeschwanz grau geworden war, hatte auch um neun Uhr abends seine Sonnenbrille nicht abgelegt. Bis auf den Schlagzeuger, der mit dem Sänger das Alter teilte, waren die anderen Musiker eine bis zwei Generationen jünger, und Contini fragte sich, wie diese Mischung entstanden, aus der Asche welcher Erfolgsträume sie wohl hervorgegangen war.
    Die Lautsprecherboxen dröhnten und hämmerten. Contini wich einem rollerfahrenden Kind aus und schlängelte sich über den Platz bis zum Postgebäude. Von dort hielt er Ausschau.
    Wenige Schritte vor der Grenze brachte Chiasso das Kunststück fertig, zum Dorf zu werden. Auf der Piazza waren Biertische aufgestellt, kleine Jungen liefen zwischen den Prellsteinen Slalom, kleine Mädchen schleckten Eis aus Waffeltüten, auf den Bänken saßen alte Herren mit blank polierten Schuhen. Passanten hielten kurz an und genehmigten sich ein Gläschen Roten oder kauften einen Lotterieschein. Das Tessin vergnügt sich für sein Leben gern und feiert die Feste, wie sie fallen: Kirchweih und Sommernächte, Jahrestage, Winter- und Sommerfasnacht – jeder Anlass ist recht.
    Auch Contini sagte nicht nein zu einem Gläschen Merlot. Danach ging er weiter Richtung Süden, stemmte sich gegen den Strom der Touristen, der Gruppen von Jugendlichen, der Familien mit Kindern, und wurde immer wieder von Entgegenkommenden angerempelt.
    Niemand sah aus wie Kate.
    Aber er wusste ohnehin nicht, wie sie aussah. Aufs Geratewohl ging er weiter bis zum Grenzübergang, und dort bezog er Posten und wartete. Sie werde sich zu erkennen geben, hatte Kate ihn wissen lassen.
    Er musste nicht lang warten. Es kam eine Kurzmitteilung, mit der sie ihn zu einem italienisch-chinesischen Restaurant in Ponte Chiasso bestellte. Contini war nicht sicher, ob er die italochinesische Küche kennenlernen wollte, fügte sich aber und überquerte die Grenze und fand das Restaurant in einer verkehrsreichen, von Ampeln und Geschäftsschildern strotzenden Straße. Das Volksfest war nur ein paar Hundert Meter entfernt und kam ihm doch vor wie eine völlig andere Welt.
    Contini betrat das Restaurant und fragte: »Ist ein Tisch auf den Namen Contini bestellt?«
    Kate erwartete ihn.
    Sie war eine große, dunkelhäutige Frau, deren ausgeprägte Wangenknochen ihrem Gesicht etwas Edles verliehen; sie trug ein hochgeschlossenes graues Atlaskostüm und eine Halskette aus roten Steinen. Contini setzte sich ihr gegenüber und sagte: »Endlich!«
    »Danke, dass Sie hergekommen sind.«
    Kate sprach ausgezeichnet Italienisch, mit einem ganz schwachen Akzent, den Contini nicht identifizieren konnte. Sie trank ein chinesisches – italochinesisches? – Bier.
    »Ich weiß, was Sie denken – statt diese ganzen Briefe zu schreiben, hätte ich auch direkt anrufen können.«
    »Kein Problem«, sagte Contini. »Ich schreibe auch Briefe.«
    »Als ich höre, dass Savi tot ist, denke ich: Ich gehe nicht fort, ohne von Vicky zu erzählen. Aber ich will die Tochter von Doktor Rocchi nicht anrufen. Zu jung.«
    »Das war genau richtig, dass Sie mich angerufen haben.«
    Contini betrachtete sie und meinte in ihrem Gesicht eine Mischung aus Überdruss und Ungeduld zu erkennen, als könnte sie es gar nicht erwarten, endlich fort zu sein. Er vergeudete

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