Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
Vom Netzwerk:
Canova bewunderte die Eleganz der Lettern. Vor Beginn seiner Ausbildung hatte er nichts von Schriftgestaltung, Stilmerkmalen und Formenlehre gewusst, geschweige denn auf sie geachtet, und jetzt träumte er davon, eine neue Schriftart zu entwickeln. Eine, die das Zeug hatte, zum Klassiker zu werden.
    Times, Courier, Helvetica … jede Schriftart war eine Welt für sich. Inzwischen wusste Giovanni schon viel über die Schriftgestaltung, ob mit oder ohne Serifen, über Höhe, Laufweite und Proportionen, über Schriftstärke und Schriftlage. Zu Hause hatte er auf seinem Rechner ein Programm, das Buchstaben vermaß, verglich und mögliche Varianten vorschlug. Außerdem konnte es Fontdateien generieren, die ihm jeden beliebigen Zeichensatz im gewünschten Maßstab erzeugten.
    Vorläufig war er allerdings noch Lehrling.
    Zuletzt, vor den Ferien, hatte er die Aufgabe gehabt, das Materiallager zu betreuen und die Bogenoffset-Maschinen zu überwachen; er beaufsichtigte Druck- und Farbwerk und reinigte die Zylinder, achtete auf den ungehinderten Papierdurchlauf und legte neue Rollen ein. Er arbeitete gern an den Maschinen, deren präzises Funktionieren ihn faszinierte und befriedigte.
    An diesem Tag Ende August hatte die Schule noch nicht wieder begonnen, und Giovanni konnte sich an seinem künftigen Arbeitsplatz umsehen. Sein neuer Betrieb, die Tipografia Offset Martini mit Sitz in Grancia, unweit von Lugano, hatte jüngst eine Heidelberg Speedmaster SM 102 mit Qualitätskontrolle CPC 24 angeschafft. Giovanni wurde von Herrn Martini herumgeführt, den Kollegen vorgestellt und in seinen neuen Arbeitsplatz eingeführt.
    »Ich habe ja seinerzeit noch den Handsatz gelernt«, schwelgte der Chef in Jugenderinnerungen. »Wir hatten Setzkästen mit Bleilettern, je einen für jede Schriftart. Du kannst dir nicht vorstellen, wie lang es gedauert hat, auch nur eine Seite Zeile für Zeile zu setzen …«
    Giovanni lernte die Geschichte des Buchdrucks in der Berufsschule und hatte schon viel von der guten alten Zeit gehört. Einerseits war er neidisch: Es war bestimmt ein großes sinnliches Vergnügen, die Lettern in die Hand zu nehmen und ein Buch zu machen, im wahrsten Sinn des Wortes … Andererseits war der tägliche Umgang mit Blei zweifellos gesundheitsschädlich.
    Signor Martini liebte aber auch die modernen Druckmaschinen und streichelte sie, während er sie seinem neuen Lehrling vorstellte. Und seine Zuneigung beschränkte sich keinesfalls auf den Maschinenpark seines Betriebs: Selbst der Getränkeautomat wurde von ihm mit einem liebevollen Klaps bedacht, bevor er die Münzen einwarf. »Bedien dich«, forderte er Giovanni auf. »Ich nehme heute nur einen Tee.«
    »Danke«, sagte Giovanni, der in einer neuen Umgebung immer ein bisschen schüchtern war. »Kann ich einen Milchkaffee haben?«
    »Selbstverständlich!« Signor Martini lächelte. »Dafür ist es doch da, unser gutes Stück …«
    Unterdessen redeten sie über Giovannis Ausbildung und seine Hoffnungen für die Zukunft.
    »Ja, das ist bestimmt eine gute Idee, diese grafische Zusatzausbildung. Hast du dich denn schon mit Schriftgestaltung befasst?«
    »Ein bisschen«, sagte Giovanni.
    »Heutzutage rate ich den jungen Leuten immer zu einem Grafikstudium – seit der Einführung des Fotosatzes ist unser Beruf nicht mehr sehr kreativ. Die Typografie hingegen eröffnet dir völlig neue Betätigungsfelder. Es ist immer gut, ein zweites Standbein zu haben. Mehrere Pfeile im Köcher, wie ich immer sage.«
    Giovanni wollte etwas antworten, doch in dem Moment läutete sein Handy. Schamrot wühlte er in der Tasche und stotterte eine Entschuldigung.
    »Bitte sehr«, sagte Signor Martini. »Die jungen Leute sind heute ja …«
    Zu seiner größten Überraschung vernahm Giovanni Natalias Stimme.
    »Stör ich?«, fragte sie. »Bist du am Arbeiten?«
    »Nicht wirklich … heute ist die Betriebseinführung.«
    »In Lugano?«
    »Ja.«
    »Ich bin in Massagno.« Natalia legte eine Pause ein. »Kann ich dich um einen Gefallen bitten?«
    »Klar«, sagte Giovanni und entfernte sich ein paar Schritte. »Was gibt’s?«
    »Ich möchte nach Corvesco. Ich will diese Papiere suchen.«
    »Aber …«
    »Contini hat ein paar Dinge erfahren. Begleitest du mich nach Corvesco?«
    »Ich … Klar. Gute Idee. Morgen oder übermorgen kann ich …«
    »Ich würde es gern sofort tun. Kannst du deinen Vater fragen, ob er uns fährt?«
    »Hm.« Giovanni schluckte. »Jetzt gleich … Ähm … Musst du nicht erst

Weitere Kostenlose Bücher