Elia Contini 03 - Das Verschwinden
aufgesetzt.«
»Und andere Zeichen von Gewalt gibt es nicht«, sagte De Marchi.
»Nein.« Ferrari zog weitere Fotos aus dem Umschlag, den er mitgebracht hatte, und warf sie auf den Schreibtisch. »Der Tatort ist sauber. Wie Sie sehen.«
»Das heißt«, ergänzte De Marchi, »es ist zwar nicht sicher, aber immerhin wahrscheinlich, dass das Opfer seinen Mörder gekannt hat. Jedenfalls hat Mankell keinen Anlass gesehen, sich vor ihm zu fürchten. Hätte er einen Einbrecher überrascht, hätte er ja irgendwie reagiert.«
»Vielleicht nicht«, sagte Bazzi. »Vielleicht hat ihn der Einbrecher mit der Pistole in Schach gehalten.«
»Aber warum hätte er ihn dann erschießen sollen?« Nun war De Marchi an der Reihe, mit dem Kinn auf das Foto zu deuten. »So ein Kopfschuss sieht ja aus wie eine Hinrichtung. Allerdings wird das Opfer in solchen Fällen typischerweise gezwungen niederzuknien.«
»Gekniet hat Mankell jedenfalls nicht«, warf Ferrari ein. »Das Projektil ist in gerader Linie eingedrungen, hat mit leichter Ablenkung das Gehirn durchquert und ist unterhalb des rechten Auges wieder ausgetreten. Der Mörder hat nicht von oben geschossen.«
»Mit welchem Motiv, wenn es kein Einbrecher war?«, fragte Tettamanti. »Und wie ist der Mörder überhaupt hereingekommen? Und wie wieder geflohen?«
Auf seine Worte folgte ein verlegenes Schweigen. Noch hatte es niemand laut ausgesprochen, doch der Fall, mit dem sie sich befassten, war einer von denen, die in der Presse gern als »Krimi« tituliert werden. Die vier Männer konnten schon die Fragen der Journalisten hören: Hat der Killer von Corvesco wieder zugeschlagen? Hätte der Anschlag Natalia gelten sollen? Und siehe da, der Exdetektiv Contini ist auch wieder in das Verbrechen verwickelt – was soll man denn davon halten? Besteht eine Verbindung zwischen Sonia Rocchi und Peter Mankell? Gibt es einen sexuellen Hintergrund?
Das Problem war, dass sie sich solche Fragen ja ebenfalls stellten. Und dass es vorläufig keine brauchbaren Spuren, geschweige denn Antworten gab.
»Mankell wurde ermordet, bevor ich ihn vernehmen konnte«, sagte De Marchi. »Um Haaresbreite hab ich ihn verpasst. Tatsache ist jedenfalls, dass eine Spur von ihm zum Tukan führt. Offensichtlich war er der Arzt mehrerer Tänzerinnen, sowohl privat als auch im amtlichen Auftrag.«
»Aber wissen wir denn«, fragte Bazzi, »ob auch zwischen dem Tukan und dem Verbrechen eine Verbindung besteht?«
»Natalias Erklärungen zufolge hat der Besitzer irgendwas mit Sonias Tod zu tun. Ärgerlich nur, dass sie nicht sagen kann, welcher Art diese Verbindung ist.«
»Mir scheint sie ziemlich vage, diese Verbindung«, sagte Tettamanti. »Wird es mit dem Mädchen nicht allmählich besser? Kann sie sich noch immer nicht besser ausdrücken? Oder erinnern?«
»Wir haben uns sehr bemüht, Informationen aus ihr herauszubekommen, aber es ist nicht einfach. Sie leidet nicht nur unter einer partiellen Aphasie, sondern auch an einer Amnesie aufgrund von posttraumatischem Stress, und es ist uns nicht mal gelungen, den Ablauf des Verbrechens vollständig zu rekonstruieren.«
»Aber die Aussagen über das Tukan haben wir verifiziert, oder?«, wollte der Staatsanwalt wissen.
»Ich habe wiederholt mit dem Besitzer gesprochen«, erklärte De Marchi, »und seine Behauptungen überprüft: Tatsächlich lässt sich nicht nachweisen, dass er mit einem Mitglied der Familie Rocchi Umgang hatte.«
»Aber Mankell hat er gekannt«, wandte Tettamanti ein.
De Marchi nickte.
»Mankell hat er gekannt, ja. Und Rocchi hat vor seinem Tod viel über Nachtlokale und Prostituierte herumgefragt. Ich bin mir sehr sicher, dass das Tukan nicht zu hundert Prozent sauber ist, und wenn wir ein bisschen in die Tiefe graben, findet sich bestimmt was.«
»Na, dann graben wir doch!«, rief Tettamanti, und eine untypische Anwandlung von Lebhaftigkeit lief durch seinen langen Leib.
»Das tun wir«, sagte Bazzi. »Aber ich gebe eines zu bedenken: Gesetzt den Fall, es besteht eine Verbindung zwischen dem Tukan und Mankell und, vielleicht, auch zwischen dem Tukan und Enzo Rocchi, ist doch völlig unklar, was die Ehefrau mit der Sache zu tun haben soll.«
»Vielleicht hat Rocchi sie ja ins Vertrauen gezogen«, sagte Tettamanti. »Und vielleicht hätte es mit ihm, wenn er nicht am Herzinfarkt gestorben wäre, dasselbe Ende genommen wie mit Mankell.«
Der Kripochef warf einen Trauerblick auf das Foto in der Mitte des leeren Schreibtisches.
Wieder zog
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