Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
kommen sollen. Er ist sonst immer dabei gewesen. Nach der Veranstaltung bin ich zu seinem Haus gefahren und habe geklingelt. Aber niemand hat geöffnet. Er wohnt zwar allein und kann für sich selber sorgen, doch warum sollte er ausgerechnet zu Beginn des Wahlkampfes verreisen? Erst vor einer Woche ist er in Pension gegangen und von irgendwelchen Reiseplänen hat er mir nichts erzählt.«
Ragnar Sundstedt begegnete Elinas Blick. Sie runzelte die Stirn.
»Ich bin sein bester Freund«, fügte er hinzu.
»Wann haben Sie ihn zuletzt getroffen?«
»Bei seiner Verabschiedung im Rathaus. Seitdem hab ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Ich hatte den Eindruck, er wollte eine Weile allein sein, und dachte, er würde von sich aus wieder Kontakt zu uns aufnehmen, wenn ihm danach wäre.«
»Hm. Vielleicht war sein Wunsch nach Alleinsein so stark, dass er keine Lust hatte, die Wahlveranstaltung zu besuchen?«
»Das ist sehr unwahrscheinlich.«
»War er krank oder deprimiert?«
»Keineswegs. Im Gegenteil, er war bester Laune, als ich ihn zuletzt traf. Er hat sich auf seine Pensionierung gefreut.«
Elina erhob sich.
»Dann fahren wir wohl besser zu seinem Haus. Wissen Sie, ob jemand einen Schlüssel hat?«
»Vielleicht seine Töchter.«
»Wir schauen erst mal nach. Haben Sie ein Auto?«
Sieben Minuten später parkte Ragnar Sundstedt seinen Volvo vor einem blauen Holzhaus auf dem Stora Ursulasväg in Blåsbo, einem Viertel für jene, die es sich leisten konnten, in gut erhaltenen, älteren Häusern mit großen Gärten zu wohnen. Elina ging zum Haus und klingelte. Nachdem sie eine Minute gewartet hatte, legte sie die Hände an die Stirn und spähte durch das Küchenfenster.
»Auf der Spüle steht eine Kaffeetasse«, stellte sie fest. »Ansonsten sieht es leer aus.«
Sie trat ein paar Schritte zurück und musterte die Fassade. Dann ging sie einmal ums Haus und stieß auf dem Schotterweg vor der Tür wieder auf Ragnar Sundstedt.
»Alles sieht normal aus, aber das Fenster zur Waschküche an der Rückseite ist nur angelehnt. Es wäre gut, wenn mir eine der Töchter die Erlaubnis geben würde einzusteigen.«
»Sie bekommen meine Erlaubnis. Wie gesagt, er ist mein bester Freund, und ich versichere Ihnen, es ist in Ordnung. Schließlich machen wir uns berechtigte Sorgen um ihn.«
Elina sah ihn an und dachte eine Weile nach.
»Nein. Wenn ich es richtig bedenke, ist es falsch, durchs Fenster zu steigen. Jemand anders konnte ja diesen Weg benutzt haben, um ins Haus oder wieder hinauszugelangen. Ich würde Spuren verwischen. Wir versuchen besser, eine der Töchter zu erreichen und einen Schlüssel zu bekommen.«
» Jemand anders?«, wiederholte Ragnar Sundstedt, vollendete den Satz jedoch nicht.
Eine Dreiviertelstunde später steckte Elina den Schlüssel ins Haustürschloss. Auf dem Schotterweg standen Ragnar Sundstedt und Annelie Björk, Wiljam Åkessons älteste Tochter. Sie wirkte sehr verkrampft. Elina öffnete vorsichtig die Tür und bat die beiden, draußen zu warten. Sie betrat die Diele. Links lag die Küche und ein Stück weiter rechts befand sich die Tür zum Wohnzimmer. Sie ging hinein. Mitten auf dem Fußboden lag ein Buch, die einzige Störung der sonst so musterhaften Ordnung. Sie trat näher, um den Titel zu entziffern.
Nachdem sie in der Waschküche, der Toilette und im Esszimmer im Erdgeschoss nachgeschaut hatte, stieg sie die Treppe zum ersten Stock hinauf. Wiljam Åkessons Schlafzimmer war aufgeräumt, das Bett unbenutzt. Gegenüber befand sich ein weiteres Zimmer, vielleicht ein
Gästezimmer, da es keine persönlichen Gegenstände enthielt. Es sah ebenfalls unbenutzt aus. Vorsichtig öffnete sie die Tür zum Bad, das genauso ordentlich war wie die übrigen Räume.
Ganz hinten gab es noch ein Zimmer. Vom Flur aus sah Elina einen Schreibtisch und Bücherregale, in denen Ordner standen. Sie ging auf die Tür zu und schaute lange hinein. Sie versuchte sich jedes Detail einzuprägen. Dann drehte sie sich um, nahm ihr Handy aus der Tasche und wählte die Direktdurchwahl zum Diensthabenden im Präsidium.
Weder Ragnar Sundstedt noch Annelie Björk sagten etwas, als Elina wieder herauskam. Sie sah die beiden an.
»Sie müssen hier draußen warten«, sagte sie schließlich. »Es kommt gleich polizeiliche Verstärkung. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass im Obergeschoss ein toter Mann liegt.«
Ragnar Sundstedt fuhr zusammen. Annelie Björk machte einen Schritt vorwärts. Keiner von ihnen sprach ein Wort,
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