Elixir
Gewichte zu stemmen und ihre Rache zu planen.
» Oh Gott, sie sind bewaffnet!«, rief Ben.
» Lauft im Zickzack zwischen den Leuten!«, schrie Sage. » Wahrscheinlich schießen sie nicht, wenn sie uns nicht richtig ins Visier nehmen können!«
Zusammen stürmten wir zum Ausgang. Ich schrie, als der erste Schuss fiel und das Fenster eines Geschäfts zu Bruch ging.
Die wenigen Leute, die sich noch im Einkaufszentrum aufhielten, gerieten in Panik. Sie kreischten und gingen möglichst schnell in Deckung.
Noch zwei weitere Schüsse hörte ich, bevor wir draußen waren. Sage rannte den Bürgersteig entlang und rüttelte an einer Autotür nach der anderen, bis eine aufging.
» Rein da!«, brüllte er. » Und duckt euch!«
Ben schlüpfte auf die Rückbank, Sage und ich stiegen vorne ein. Wir kauerten uns im Fußraum zusammen, nur Sekundenbruchteile, bevor wir den Krawall hörten, der bedeutete, dass unsere Verfolger aufgetaucht waren.
» Was machen wir jetzt? Nur die Köpfe einziehen?«, flüsterte ich Sage zu. » Dann hätten wir auch hinter der kleinen Tür bleiben können!«
Sage antwortete nicht. Er fummelte an etwas unter dem Armaturenbrett herum. Gleich darauf sprang dröhnend der Motor an und Sage trat das Gaspedal durch und brauste mit voller Geschwindigkeit davon.
» Du weißt, wie man ein Auto kurzschließt?«, fragte ich.
» Man lernt so einiges in fünfhundert Jahren«, erwiderte er.
Ich kletterte vom Fußraum auf den Beifahrersitz und angelte nach meinem Gurt. Hinter mir tat Ben dasselbe. Ich dachte, wir wären davongekommen… dann hörte ich den Schuss. Ich schrie und duckte mich wieder.
» Shit!«, fluchte Sage. » Sie zielen auf unsere Reifen.«
Er gab noch mehr Gas, doch es waren zu viele Autos und zu wenig Platz. Also scherte er auf die Gegenfahrbahn aus.
Hupen ertönten.
» Was tust du da?«, kreischte ich.
» Haltet euch fest!«, schrie Sage und scherte wieder auf die richtige Fahrbahn ein. Nur um einen Sekundenbruchteil waren wir einem Frontalzusammenstoß entronnen.
Ich kniff die Augen zu, aber nur kurz. Wenn ich schon sterben würde, dann wollte ich meine letzten Momente wenigstens bewusst erleben.
Sage manövrierte den Wagen durch ein Gewirr kleiner und großer Straßen, immer im Zickzackkurs, immer auf der Überholspur. Er drückte auf die Hupe, während er über Fußgängerüberwege und Gehsteige raste und die Passanten auseinanderscheuchte.
» Ben, alles in Ordnung?« Ich sah zu ihm nach hinten, um mich zu vergewissern. Ben war kreidebleich. Er konnte nicht mal mit dem Teetassen-Karussell in Disney World fahren. Ich konnte nur hoffen, dass er das hier heil überstand.
Er schüttelte den Kopf und krümmte sich auf seinem Sitz zusammen.
Ich streckte mich, um die Lage hinter uns zu peilen, doch Sage drückte mich wieder nach unten. » Lass das.«
» Ich will doch nur wissen, wie viele es sind.«
» Zu viele.« Sage beschleunigte den Wagen auf ein halsbrecherisches Tempo, dann machte er mit quietschenden Reifen einen U-Turn und begann, uns wild durch schmale Gässchen zu manövrieren, nahm eine Haarnadelkurve nach der anderen.
Reifen quietschten, dann folgte ein lautes Krachen.
» VOLLTREFFER !« Sage lachte triumphierend. » Schaut euch das an!«
Ich sah nach hinten und konnte durch die Heckscheibe einen Blick auf die rauchenden Wracks zweier zertrümmerter Autos erhaschen, die schnell kleiner wurden. Weitere Wagen fuhren an ihnen vorbei und nahmen an ihrer Stelle die Verfolgung auf. Ich kauerte mich wieder auf meinem Sitz zusammen.
» Nicht schlecht, oder?«, fragte Sage.
Er grinste. Die Verfolgungsjagd setzte neue Energien in ihm frei, das Adrenalin ließ seine Augen leuchten und seine Muskeln spannten sich, als er sich und das Auto an die Grenzen trieb.
Ich hatte ihn noch nie so gesehen und war fasziniert. Auch wenn es irgendwie krank war, so wollte doch ein Teil von mir, dass die Jagd nicht enden würde.
» Festhalten!«, rief Sage. Wir hatten die Gassen hinter uns gelassen und er jubelte den Motor auf Höchstgeschwindigkeit hoch, bevor er eine Drehung um dreihundertsechzig Grad machte, die wieder drei unserer Verfolger ineinanderkrachen ließ.
Sage warf mir einen Blick zu. » Na, Herzklopfen?«
Hatte ich… und ich ahnte, dass er genau wusste, warum. Er lächelte– dann lenkten Schüsse seine Aufmerksamkeit wieder zurück auf die Verfolgungsjagd. Gebannt beobachtete ich ihn, wie er wie ein Henker fuhr, bis wir nach und nach alle unserer Verfolger abgeschüttelt
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