Elixir
hatten.
Wir rasten eine fast leere Schnellstraße hinunter, weit und breit keine Verfolger mehr in Sicht.
» Ähm, Sage?«, sagte Ben schließlich. Er sah noch immer aus, als ob ihm schlecht wäre, doch es war ein wenig Farbe in sein Gesicht zurückgekehrt. » Wohin fahren wir?«
» Kujukuri Beach«, antwortete er. » Ungefähr fünfundvierzig Minuten von hier und um diese Zeit ziemlich einsam. Unterwegs halten wir noch kurz für ein bisschen Holz und ein Feuerzeug an… dann sind wir gegen halb zwölf dort.«
Sage sagte es so lässig, aber ich kannte ihn besser. Es überraschte mich nicht, doch es ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
» Wirklich?«, fragte Ben. » Sollten wir nicht einfach irgendwo einen Stopp machen und unseren nächsten Schachzug planen?«
Offenbar war Ben noch immer völlig durcheinander von allem, was geschehen war. Er verstand nicht.
» Sage hat den nächsten Schachzug schon geplant«, sagte ich.
» Okay… und wie sieht der aus?«
» Erlösung«, sagten Sage und ich wie aus einem Mund.
» Erlösung wie… der Dolch?«, fragte Ben.
Sage nickte. » Deshalb sind wir hier.«
Ben machte den Mund auf, doch er widersprach nicht. Stattdessen sah er mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an und wartete auf meine Reaktion.
» Das hatte er schon die ganze Zeit vor«, sagte ich.
Und wenn für Sage alles nach Plan lief, dann wäre er in fast genau eineinhalb Stunden tot. Man hätte denken sollen, das würde eine hitzige Debatte auslösen und verlange nach langatmigen Verabschiedungen und traurigen Geschichten darüber, was hätte sein können. Stattdessen saßen wir nur da und schwiegen.
» He, ihr«, sagte Ben schließlich, » ich muss ständig darüber nachdenken, was wir gesehen haben… was ich getan habe…«
» Das warst nicht du«, sagte ich.
» Doch«, widersprach er. » Irgendwie schon.«
Er hatte recht. Irgendwie schon. Er hatte mir in meinen vergangenen Leben schreckliche Dinge angetan.
» Ich habe ein ums andere Mal euer Vertrauen missbraucht«, fuhr Ben fort, » und was mit euch geschehen ist… all das Leid…«
Seine Stimme brach und ich pickte mir das Einzige aus Magdas Visionen heraus, das es ein bisschen besser machte.
» Du hast das alles nicht gewollt«, sagte ich. » Vergiss das nicht. Du hast nicht geahnt, was für Konsequenzen dein Verhalten…«
» Aber das macht es nur noch schlimmer! Ich kann mir nicht mal selbst vertrauen. Sogar wenn ich glaube, das Richtige zu tun, kommt das genaue Gegenteil dabei heraus.«
Das stimmte. Selbst als er mir helfen wollte, hatte sein Verhalten zu meinem Tod geführt.
Würde es wieder so kommen?
Nein. Das hier war Ben. Mein Ben. Was immer zuvor gewesen war, in diesem Leben würde er lieber sterben, als zuzulassen, dass mir ein Unheil geschah. Das wusste ich ganz sicher.
Dennoch blieb in meinem Hinterkopf ein bohrender Zweifel, den ich jedoch beiseite schob.
» Was damals passiert ist, muss nicht wieder passieren«, beruhigte ich ihn. » Diese Leute– das warst nicht du. Sie mögen ein Teil von dir sein, aber sie sind nicht du.«
» Wie kannst du da sicher sein?«, fragte er und ich hörte seiner Stimme an, wie gern er mir glauben wollte.
» Das gehört alles zu dem Teufelskreis«, schaltete sich Sage ein. » Und der endet heute Nacht.«
Er hielt vor einem Supermarkt an.
» Es dauert nur eine Minute«, sagte er.
» Kannst du mir dein Handy dalassen?«, bat ich. » Ich muss Rayna eine SMS schreiben, damit sie weiß, dass wir noch leben.«
Sage zog angesichts meiner Wortwahl die Augenbrauen hoch, reichte mir aber das Handy, ehe er ging.
» Ich bin gleich wieder zurück«, sagte ich zu Ben und stieg aus dem Wagen. Meine Fototasche hatte ich dabei.
Und einen Plan.
Ich schickte Rayna keine SMS . Stattdessen ließ ich meine Hand in die Tasche gleiten und zog die Internetadresse und den Zugangscode heraus, den ich im Studio meines Vaters gefunden hatte: die Forumsseite der Retter des Ewigen Lebens. Mit ein paar Worten schrieb ich, wer ich war, dass Sage bei mir sei und wir uns auf dem Weg nach Kujukuri Beach befänden. Wenn sie das Elixir wollten, dann müssten sie bis Mitternacht kommen, sonst wäre es zu spät.
Sage war schon wieder auf dem Rückweg zum Wagen. Ich hatte keine Zeit, einen Blick auf die anderen Einträge der Seite zu werfen, um zu überprüfen, ob sich in letzter Zeit irgendetwas getan hatte, sondern konnte nur schnell die Information dort absetzen und hoffen, dass jemand auftauchte, bevor es zu
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