Elizabeth II.: Das Leben der Queen
man lange genug lebt, erlebt man alles, auch das Gegenteil, und so konnte Elizabeth II. im Mai 2011 zu ihrem ersten Staatsbesuch in die irische Republik aufbrechen, einhundert Jahre nach dem letzten, den ihr Großvater George V. im Juli 1911, einen Monat nach seiner Krönung, absolvierte. Auch wird sie im Sommer 2012 zum zweiten Mal in London Olympischen Spielen beiwohnen können, 1948 war sie noch Prinzessin Elizabeth, Herzogin von Edinburgh. In Wandel und Wiederkehr erfüllt sich dieses erstaunliche Leben.
An Meilensteinen ist Elizabeths Vita überreich – am 12. Mai 2011 passierte sie einen weiteren, der für Leute, die so etwas sammeln, royale Rekorde nämlich, höchst signifikant ist: Sie schob sich an die zweite Stelle der Liga lang herrschender englischer Monarchen, überholte George III. (1760–1820), der es auf 59 Jahre, 3 Monate und 4 Tage brachte, und hat jetzt nur noch die ewige Spitzenreiterin vor sich, Königin Victoria (1837–1901). Der Ansturm auf den Gipfel hat begonnen. Den wird die Queen – so Gott will – am 10. September 2015 als 89-Jährige erreicht haben, nach 63 Jahren, 7 Monaten und 4 Tagen auf dem Thron – einem Tag länger als die große Vorgängerin. Man wüsste gerne, wie Prinz Charles darüber denkt. Er hat seinen eigenen Rekord bereits erreicht, er ist der am längsten wartende Thronfolger der englischen Königsgeschichte. Im September 2015 wird er zwei Monate vor seinem 67. Geburtstag stehen, seine Frau, die Herzogin von Cornwall, wird ihren 68. gerade hinter sich haben, aber bei der Gesundheit der Queen dürfte der Thron auch dann noch für King Charles III. und seine Prinzgemahlin (oder Queen) Camilla in einiger Ferne liegen. Sein nächster Rekord ist ihm sicher: Er wird der bei Dienstantritt älteste Monarch in der Geschichte des Vereinigten Königreichs sein. So Gott will.
Dies sind keine müßigen Zahlenspiele. Sie erinnern vielmehr an eine Tradition, die der britische Thron mit dem Stuhl Petri teilt: Der Amtsinhaber muss in den Sielen sterben, es kann keine zwei lebenden Monarchen gleichzeitig geben, ebenso wenig wie zwei Päpste (jedenfalls in der Neuzeit). Alles geht nach den strengen Regeln der Sukzession. Sollte Krankheit die Queen vorzeitig daran hindern, die Staatsgeschäfte weiter auszuüben, wird ihr Erstgeborener Regent, mehr nicht. Denn die Mutter kann nicht abtreten, weder zugunsten ihres Sohnes noch gar zugunsten ihres Enkels; sie hat in dieser Frage überhaupt nichts zu bestimmen, will es auch nicht, warum auch – die Dinge liegen ja fest: Die Macht haben einzig das Parlament und die Regierung sowie die Staatschefs des Commonwealth. Und diese Gremien werden sich hüten, mutwillig eine Krise ins Haus zu lassen durch Aussetzen der jahrhundertealten Erbgesetze. An solchen Fakten kann man nachvollziehen,warum George Orwell Englands konstitutionelle Monarchie eine «gekrönte Republik» genannt hat und warum ein angesehener Historiker der Königsgeschichte wie David Starkey («Crown and Country», 2010) von der «königlichen Republik Großbritannien» spricht. Das Wort ist praktisch ein Synonym für den gängigen Begriff «konstitutionelle Monarchie», profiliert aber besser als dieser die wahren Machtverhältnisse auf der Insel.
In der «königlichen Republik Großbritannien» laufen, wie Starkey schreibt, die beiden Hauptstränge der britischen Geschichte zusammen: der republikanische und der monarchische. Der erste steht für den politischen Fortschritt, die Evolution der parlamentarischen Freiheit; der zweite für die monarchische Kontinuität, eine Kontinuität, die sich ihrerseits evolutionär entwickelt hat, und zwar unter dem Primat der säkularen Macht, sprich: des Parlaments. Die hohe Stabilität des britischen Königtums verdankt sich gerade diesem Umstand: dass die Krone immer weniger der politischen Herrschaft im Wege gestanden, sie in ihrer Freiheit immer weniger behindert hat. Umgekehrt durfte sie in dem Moment, in dem sie der wirklichen Macht im Lande nicht mehr gefährlich war, ihren ganzen Prunk und Pomp entfalten und zu neuer Beliebtheit aufsteigen. «Macht gegen Popularität», wie der Sozialgeschichtler David Cannadine diesen Tausch genannt hat.
Ein Paradox: In dem Maße, in dem der Thron an politischem Einfluss verlor, erhöhte sich sein Ansehen. Die Untertanen, einst geduckt, dann aufbegehrend, konnten, nachdem die Machtverteilung im Lande geklärt war, prunkvolle Zurschaustellungen der Krone wieder ungetrübt genießen. Von denen ist
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