Elke, der Schlingel
Malerei allerlei Wahrheitsgetreues. Der Direktor, ist
dargestellt als ein kleiner Herr mit einem kahlen Kopf, einer goldenen Brille
und einem stattlichen Bauch, das alles hat er in der Wirklichkeit auch.
Fräulein Samtleben ist in diesem Sinne ebenfalls gut geglückt. Sie ist sehr
dünn, hat rote Backen und graue Haare, und so wie ein kleines
Schweineringelschwänzchen guckt hinten das Zopfende, heraus, geschmückt mit
einer großen rosa Schleife. Ja, ja, Elke ist wirklich ein Schlingel! Die
Gesichter haben natürlich keinerlei Ähnlichkeit, ja, es sind, ehrlich
gestanden, sogar ganz mordsmörderlich häßliche Gesichter, die Elke an die
Wandtafel gezaubert hat, aber wie sollte das auch anders sein! Mit dicker
Wandtafelkreide kann man nichts Ordentliches zustande kriegen! Gewiß, man kann
auch dünn mit den Kreidestiften zeichnen, aber dann kommt die Farbe gar nicht
zur Geltung, und das sieht für das ganze Bild noch schlechter aus, findet Elke.
Elke steht vor dem mittleren Teil der
großen, dreigeteilten, zusammenklappbaren Wandtafel und hat ganz heiße Backen
vor Eifer. Wenn sie bloß fertig wird! Fräulein Samtleben hat noch keine Füße
und der Direktor überhaupt noch keine Beine, geschweige denn Knöpfe auf der
Weste und einen Schlips.
In zehn Minuten läutet es das erste
Mal, dann muß die Klasse in Ordnung sein, und fünf Minuten später geht wiederum
die Glocke, das bedeutet, daß die Lehrkräfte erscheinen, um mit dem Unterricht
zu beginnen. Niemand kommt heute in der Sexta zu spät, im Gegenteil, die Mädel
sind alle schon eine Viertelstunde vorher vollzählig versammelt. Niemand will
sich die Vorfreude auf den Fräulein Samtleben zugedachten Spaß entgehen lassen.
Außer Elke sind auch noch zwei andere
Mädel vorn an der Wandtafel beschäftigt. Sie wischen sorgfältig die
Kreidekrümel vom Fußboden, die beim Malen abbröckeln und ja leicht zu Verrätern
werden könnten. Das darf nicht sein, denn Fräulein Samtleben soll überrascht
werden, das ist ja der Hauptspaß. Wenn Elke fertig ist, werden die beiden
Seitenflügel vor dem Mittelteil zusammengeklappt, und niemand kann sehen, was auf
der mittleren Tafel aufgemalt steht. Nur wenn das Stummelschwänzchen die Tafel
auseinanderklappt, weil sie immer am liebsten auf der mittleren großen Tafel
alles anschreibt, dann... ja, dann!
Nicht auszudenken, was dann geschieht!
Viele Paare Mädelaugen glühen nur so vor Erwartung und vor spitzbübischer
Freude. Gewiß, es sind auch ein paar ängstliche Gemüter dabei und solche, denen
es nicht liegt, Spaß mit der Lehrerin zu treiben, aber die lassen es sich nicht
anmerken. Spielverderberin ist keine einzige.
Die Zeit drängt, und Elke ist noch
immer nicht fertig. Das Stummelschwänzchen hat noch keinen Spitzenkragen auf
ihrer grünen Bluse, und der Schlips vom Herrn Direktor muß wieder weggewischt
Werden—er sitzt ganz schief!
Katje Reimers, Elkes liebste Freundin,
steht an der Klassentür und hält sie zu. Kiki Lütjens steht draußen vor der Tür
und sieht zu, ob das auf dem Korridor aufsichtführende Fräulein Thomsen auch
nicht in allzu bedrohliche Nähe kommt. Fräulein Thomsen ist sonst sehr nett,
aber sie darf natürlich nichts davon merken, daß in der Sexta ein Streich
vorbereitet wird.
In diesem Augenblick läutet es zum
Beginn des Unterrichtes, und Elke kriegt einen gewaltigen Schreck: Des
Stummelschwänzchens Nase ist so entsetzlich groß geworden, sie wollte sie eigentlich
noch einmal wegwischen und neu malen, aber dazu ist jetzt keine Zeit mehr. Zu
schade!
Elke reibt sich in bereitgehaltenen
Lappen die Hände sauber, Kameradinnen wischen den Fußboden auf und klappen die
Seitenflügel vor das Bild, und dann sitzen alle Kinder mucksmäuschenstill und
mit brav gefalteten Händen auf ihren Plätzen. Als Fräulein Samtleben die Klasse
betritt, findet sie eine musterhafte Ordnung vor.
Nun ist der Diktatunterricht in vollem
Gange, und die Sextanerinnen triefen nur so von Fleiß und Aufmerksamkeit und
wünschen sich scheinbar nichts Lieberes, als zu lernen, wie die Wörter mit
-lieh und -ig und miß- und -nis geschrieben werden.
Fräulein Samtleben lobt die tüchtige Klasse
mehrere Male, und sie ist nur ein bißchen erstaunt, daß sie hin und wieder
allerlei geheimnisvolle Blicke bemerkt, die da und dort ausgetauscht werden.
Aber das hat wohl nichts zu bedeuten, die Kinder sind ja s o brav.
Fräulein Samtleben ist eine sehr
tüchtige und gewissenhafte Lehrerin. Die Kinder mögen sie gern, weil
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