Elke, der Schlingel
anzog, sie hatte also wieder mal nicht aufgepaßt. Aber ehe Frau Tadsen
dazu kam, der gehorsam herangekommenen Hausangestellten den zugedachten Tadel
auszusprechen, wurde ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt. Was war
das? Der linke Ärmel des Mantels war zerrissen! Der Stoff war in sich
auseinandergezerrt, ganz so, als wenn Elke in dem Mantel geturnt hätte und
irgendwie mit ihm hängengeblieben wäre. Nein, nur der linke Ärmel sah so
mitgenommen aus, alles andere war heilgeblieben.
„Sehen Sie sich bloß mal diesen Ärmel
an“, sagte Frau Tadsen. Fränzi nickte. „Ja, der sieht bös aus. Ich hab’s schon
zu Elke gesagt — der Mantel ist hin.“
„Sie wußten, daß der Mantel so
zerrissen ist?“ fragte Frau Tadsen erstaunt, und in ihrer Stimme klang etwas
wie Vorwurf mit. Mit dieser Fränzi war es wirklich immer dasselbe: wo das nur
irgend möglich war, stand sie auf Elkes Seite. Aber diesmal kam Frau Tadsen
nicht dazu, ihren Vorwurf laut werden zu lassen, denn Fränzi sagte: „Es ist
dumm von Elke, daß sie Ihnen von der ganzen Geschichte gar nichts erzählt hat,
bloß weil der Mantel ein bißchen kaputtgegangen ist. Ich finde, Elke hat sich
fabelhaft benommen.“ Was die Mutter dann von Fränzi, die Elkes Erzählung
wiedergab, erzählt bekam, war folgendes: Elke war vorgestern nachmittag mit
drei Mädeln, die sie nur vom Ansehen kannte, auf ihrem Nachhauseweg von der
Klavierstunde am Kanal entlanggegangen. Der Kanal war zugefroren, aber überall
an den Ufern, besonders an den Dampferanlegestellen hatten Schilder gestanden:
„Nicht sicher!“ Trotzdem hatte eines von den Mädeln den Vorschlag gemacht, an
so einer Anlegestelle hinunter aufs Eis zu gehen. „Quatsch, das Eis ist doch
sicher“, hatte es gesagt und sich nicht davon abhalten lassen, auf die
Anlegebrücke zu gehen und von dort aufs Eis hinunterzuklettern. Die anderen
Mädchen waren ihr auf die Schiffsbrücke gefolgt und hatten ihr nachgeschaut,
wie sie dastand und mit dem Fuß aufstampfte, um zu zeigen, wie fest das Eis
sei. Plötzlich gab es einen Krach, und das Mädel sank ein. Es war ein Glück,
daß es ein Schulränzel umhatte: Der Ranzen hakte über dem Eis fest. Die
Verunglückte schrie fürchterlich, und ihre beiden Kameradinnen fingen auch an
zu schreien und liefen weg.
Aber Elke lief nicht weg, sie schlang
schnell ihren linken Arm in den Eisenring hinein, wo sonst immer die Schiffstaue
durchgezogen werden, beugte sich über den Rand der Anlegebrücke hinunter,
packte das eingesunkene Mädel am Ränzelriemen und hielt es fest. So konnte es
wenigstens nicht tiefer einsinken. Dann kam ein Straßenfeger und zog die
Verunglückte heraus. Er schimpfte furchtbar und sagte, er wollte alles der
Polizei melden, da lief die Nasse, so schnell sie nur konnte, weg. Und auch
Elke, die das doch eigentlich gar nicht nötig gehabt hätte, lief weg. Denn wer
wollte gern was mit der Polizei zu tun haben.
„Ich finde es tadellos von Elke, daß
sie das Mädel festgehalten hat“, schloß Fränzi ihren Bericht. „Wenn sie es so
gemacht hätte, wie die beiden anderen und brüllend losgelaufen wäre, hätte doch
werweiß was für ein Unglück draus werden können.“
Frau Tadsen hatte während Fränzis
Bericht einen ganz veränderten, ängstlich besorgten Gesichtsausdruckbekommen.
Sie fragte jetzt nur:
„Hat Elke Ihnen das alles genau so
erzählt?“
„Und es ist bestimmt auch alles so
gewesen“, gab Fränzi zur Antwort. „Sie sollten nur mal Elkes linken Arm sehen,
mit dem sie sich in dem Eisenring festgehalten hat. Ganz rot, wie gequetscht
sieht er aus.“
Frau Tadsen schüttelte ernst den Kopf
und ging ins Wohnzimmer, um bei ihrem Mann anzurufen.
Zweites Kapitel
DAS STUMMELSCHWÄNZCHEN SELBER
Wie ist es nun inzwischen Elke
ergangen? Hat sie ihr geplantes Gemälde rechtzeitig fertig bekommen, und wie
hat sich alles entwickelt — ist das angeulkte „Stummelschwänzchen“ auch nicht
gar zu böse geworden?
Das „Stummelschwänzchen“ nicht böse?
Du lieber Himmel — ein ganzes Trauerspiel haben Elkes Malkünste
heraufbeschworen! Doch nein, das ist nicht ganz richtig, denn das Trauerspiel
hat keinen traurigen Schluß gehabt.
Elke ist mit ihrer Malerei in vollem
Gange. Es ist alles herzlich unbeholfen, was sie da mit der schnell
stumpfwerdenden Wandtafelkreide hinmalt, aber das hindert die ihr bei der
Arbeit zuschauenden Mädel nicht, immer wieder in lautes Entzücken auszubrechen.
Tatsächlich enthält Elkes
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