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Ella in der zweiten Klasse

Ella in der zweiten Klasse

Titel: Ella in der zweiten Klasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Timo fort. »Der Lehrer hat der Direktorin seinen Knöchel gezeigt, und sie hat gesagt, dass er wegen so einer Kleinigkeit ganz bestimmt nicht zu Hause bleiben darf.«
    »Und das war alles?«, wunderte ich mich.
    »Nein«, sagte Timo. »Außerdem hat sie gewusst, dass so auch der Biss einer bestimmten malawischen Echsenart aussieht.«
    »Und das war alles?«, wunderten wir uns.
    »Nein. Am Ende hat sie ihn noch daran erinnert, was seine Aufgabe hier an unserer Schule ist.«
    »Und die wäre?«, fragte Mika.
    »Ja, was ist seine Aufgabe an unserer Schule?«, wollten wir alle wissen.
    »Uns auf unserem Weg zu begleiten, damit wir immer weiter wachsen und reifen«, sagte Timo so leise, dass man es kaum noch hören konnte.
    »Und das ist alles?«, fragte ich, als ich mir sicher war, dass Timo nichts mehr sagen wollte.
    »Versteht ihr denn nicht, was das bedeutet? Wachsen und reifen! Wir sollen Futter für die Außerirdischen werden. Die ganze Schule ist in Wirklichkeit eine Art Weltraumhühnerstall«, erklärte Timo matt.
    Wir waren uns nicht sicher, ob er nicht plötzlich einen an der Waffel hatte, aber was er sagte, machte uns doch ein bisschen nervös.
    »Und was ist mit Pekka und dem Rambo?«, fragte ich.
    »Spione«, sagte Timo. »Die sagen denen, wann wir reif genug sind.«
    Wir schüttelten uns vor Entsetzen.

Der Reifetest

    Von dem Tag an war es in der Schule nicht mehr dasselbe. Zu Hause versuchte ich meinen Eltern zu erklären, dass ich nicht mehr in die Schule gehen wolle, weil ich nämlich gar keine Lust hätte, reif zu werden. Aber mein Vater und meine Mutter meinten, reif zu werden habe noch niemandem geschadet, und ohne die Schule werde man nun mal nicht zu einem reifen Menschen. Dann lachten sie, dass es mir kalt den Rücken herunterlief.
    Am nächsten Morgen in der Mathestunde fragte ich Timo: »Warum bringen die uns überhaupt Mathe bei, wenn sie uns doch nur essen wollen?«
    »Von Mathe kriegt man ein größeres Gehirn. Hirn ist deren Leibspeise«, antwortete Timo dumpf.
    In der Deutschstunde fragte Hanna Timo: »Warum bringen die uns das Lesen bei, wenn sie uns doch nur essen wollen?«
    »Lesen regt die Fantasie an. Aus Fantasie machen die Soße«, wusste Timo.
    In der Sportstunde fragte Tiina Timo: »Warum müssen wir uns am Reck abzappeln, wenn sie uns doch nur essen wollen?«
    »Schon mal was von einem gut abgehangenen zarten Braten gehört?«, antwortete Timo.
    In der Kunststunde fragte Mika Timo: »Warum müssen wir noch mit Fingerfarben malen, wenn sie uns doch nur essen wollen?«
    »Das ist für die keine Farbe, sondern Marinade«, sagte Timo und versuchte, die Farbe abzuwischen, die er sich in die Ohren geschmiert hatte.
    In der Pause kam dann Pekka und fragte Timo: »Warum spricht eigentlich niemand mehr mit mir?«
    Aber Timo antwortete nicht. Der konnte lange fragen. Wir wussten Bescheid.
    Beim Mittagessen im Speisesaal fragte dann niemand mehr, weshalb wir immer unsere Teller leer essen sollten, denn das war ja klar. Und warum sie uns am Schulanfang und nach den Ferien immer zum Messen und Wiegen zur Schulkrankenschwester schickten, brauchte uns auch keiner zu erklären. Wir wussten Bescheid und hatten auch schon einen Plan, eine Verteidigungsstrategie, wie Timo, unser Klassengenie, es nannte.
    »Mein Gehirn wächst nicht mehr, das können die vergessen«, sagte das Klassengenie und beantwortete in der nächsten Mathestunde alle Fragen falsch. Wir anderen machten es ihm nach und bekamen alle genau dieselbe Sechs dafür.
    »Auf meine Fantasie müssen die auch verzichten«, sagte ich, als ich beim Lesen drankam, und las: »Notkäppchen und der Golf ...« Die anderen machten es mir nach, und der Lehrer sagte, wenn wir so weitermachten, müssten wir alle in den Förderunterricht.
    »Ich werde jedenfalls nicht gut abgehangen und zart«, sagte Hanna und ließ sich von der Reckstange plumpsen. Wir machten es ihr nach und wurden alle zur Schulkrankenschwester geschickt, damit sie uns verarztete.
    »Ich lass mich doch nicht marinieren«, sagte Tiina und goss ihre Fingerfarbe auf den Fußboden. Wir machten es ihr nach und mussten alle nachsitzen.
    »Ich verstehe überhaupt nichts mehr«, sagte unser Lehrer und ging mit uns zur Schulpsychologin.
    »In solchen Fällen macht man als Erstes einen kleinen Reifetest«, schlug die Schulpsychologin vor.
    »Ist das nicht ein bisschen früh?«, sagte Timo.
    »Ich bin noch kein bisschen abgehangen«, behauptete Hanna.
    »Ich schmecke gar nicht gut«,

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