Ella und die falschen Pusteln
Ich liebe euch
Ich heiße Ella, und ich gehe in die zweite Klasse. Unsere Klasse ist sehr nett, und unser Lehrer ist auch sehr nett. Oder jedenfalls war er es früher. In letzter Zeit war er nämlich ein bisschen komisch. Es fing gleich am ersten Schultag nach den Ferien an.
»Ich liebe euch«, sagte der Lehrer, als er in die Klasse kam. »Ich liebe euch und meine Arbeit. Es juckt mich in den Fingern, endlich wieder die goldenen Wissenskörner auszusähen, die ihr auf eurem Weg ins Leben aufpicken sollt. Mein Kopf sprudelt vor neuen Ideen, und mein Herz will fast zerspringen vor Lust, euch die Richtung zu weisen. Es schnürt mir den Hals zu, wenn ich euch so zart und verletzlich vor mir sitzen sehe. Aber habt keine Angst, der warme Mantel der Bildung wird eure klammen Gehirne wärmen, und euer Lehrer wird euch Wachs in die Ohren stopfen, damit die Sirenen des falschen Wissens euch nicht in die Irre führen. Und solltet ihr euch doch einmal an falschem Wissen den Magen verderben, dann will ich euer Haferbrei sein. Gemeinsam werden wir die steilen Höhen der Bildung erklimmen, und sollten wir uns dabei noch so viele Blasen an den Füßen holen. Ich bin euer Lehrer, und koste es mich das Leben!«
In unserem Klassenzimmer war es totenstill. Dann gab es das erste Knacken, als Hanna der Kiefer herunterklappte, und das zweite Knacken, als ich meinen Bleistift zerbiss. Timo kicherte nervös, Tiina schniefte vor Rührung, und unser Rambo drohte, dass er dem Lehrer seine Wissenskörner in den Hals stopft, wenn er mit dem Liebesquatsch nicht sofort aufhört. Mika fing natürlich an zu heulen und wollte nach Hause, weil ihm der Lehrer Angst machte. Mika ist echt eine Heulsuse.
Der Erste, der wieder was sagen konnte, war Pekka. Pekka ist der Sohn unserer Direktorin und unser Klassendödel.
»Genau den Traum hab ich schon mal gehabt«, sagte er. »Als Nächstes bläht der Lehrer sich auf und wird ein Ballon, dann fliegt er davon, und ich schieße ihm mit der Steinschleuder hinterher. Ich treffe ihn am Po, und er lässt mordsmäßig einen fahren. Das ist ein Spitzentraum, weckt mich bloß nicht auf!«
Aber es war kein Traum, das wussten wir genau, weil wir ja die Augen offen hatten. Gerade malte der Lehrer ein riesengroßes Herz an die Tafel, um uns zu zeigen, wie unheimlich lieb er uns hatte.
»Ich bin so glücklich«, sagte der Lehrer und starrte aus dem Fenster irgendwo ins Weite. Eine Träne kullerte ihm über die Wange. Es war traurig, dass es dem Lehrer schon so schlecht ging, wo wir doch erst seit zehn Minuten in der Schule waren.
»Klarer Fall«, sagte Timo.
»Meinst du, er wird wieder erpresst?«, fragte Hanna.
»Meinst du, er ist wieder verliebt?«, fragte Tiina.
»Meinst du, sie wollen ihn wieder aus der Wohnung werfen?«, fragte ich. 1)
1) All das ist dem Lehrer schon passiert. Das kann man in den anderen Ella-Büchern nachlesen.
»Meinst du, es hilft, wenn ich euch allen eins auf die Nase gebe?«, fragte der Rambo.
»Oder denkst du, dass er sich zu einem Ballon aufbläht?«, fragte Pekka.
»Quatsch, der Lehrer ist schwer krank«, sagte Timo, und wir sahen ein, dass er natürlich recht hatte. Timo hat immer recht. Er ist unser Klassengenie.
»Wir beginnen mit einer kleinen Schreibaufgabe. Holt bitte eure Stifte und Hefte heraus!«, sagte der Lehrer. »Wir schreiben ein Gedicht, und der Titel des Gedichts lautet: ›Was ist Glück?‹«
Das war eine Überraschung. Wir waren uns ganz sicher gewesen, dass wir in der ersten Stunde nach den Ferien eine Geschichte schreiben würden. Das machten alle zweiten Klassen, hatten uns die Drittklässler erzählt, und der Titel der Geschichte lautete: »Was ich im Sommer erlebt habe«. Besonders sicher war sich Tiina gewesen, darum hatte sie in den Ferien schon eine Geschichte geschrieben. Zwanzig Seiten lang war die.
»Ich hab’s gewusst«, schniefte Mika, der auch schon eine Geschichte dabeihatte. Die hatte allerdings seine Mutter geschrieben.
Für den Rest der Stunde stand der Lehrer wieder am Fenster. Er schaute seltsam lächelnd auf den Lehrerparkplatz, obwohl es dort außer Autos nichts zu sehen gab. Er tat uns richtig leid. Bestimmt hatte er große Schmerzen von der schweren Krankheit, die er hatte. Trotzdem hielt er tapfer durch, und am Ende der Stunde schrieb er sogar selbst ein Gedicht an die Tafel:
Was ist Glück?
Das Glück hat vier Räder
und Sitze aus Leder.
Es fährt bei Hagel, Schnee und Eis,
wenn man es nur zu fahren weiß.
Ich führe gar zu
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