Ellernklipp
Immer müde sein ist Teufelswerk. Als ich so alt war wie du, da braucht ich gar nicht zu schlafen.«
Und solche Mahnung half denn auch einen Tag oder zwei, weil's ihr einen Ruck gab. Aber den dritten Tag war es wieder beim alten, und er beschloß, mit Sörgel darüber zu sprechen.
Der indessen schüttelte den Kopf und sagte nur: »Ich kann Euch nicht zustimmen, Heidereiter. Ihr habt ein volles und starkes Blut und wollt alles so voll und stark, als Ihr selber seid. Aber das Blut ist verschieden, und das Temperament ist es auch. Ihr habt den cholerischen Zug, und die Hilde hat den melancholischen. Und daran ist nichts zu ändern; das hat die Natur so gewollt, in der
auch
Gottes Wille lebendig ist, und das müßt Ihr gehenlassen. Seht, ich weiß noch den Tag, als die Muthe Rochussen eben gestorben war und wir mit der Hilde hinaufgingen und dann wieder zurück über Ellernklipp und Diegels Mühle. Da sagt ich mir: ›Ein feines Kind; aber sie träumt bloß und kennt nicht gut und nicht böse.‹ Und so war es damals auch. Aber sie hat es gelernt seitdem, und weil der gute Keim in ihr war, ist nichts Niederes an ihr und in ihr und kein Lug und kein Trug. Und ich will Euch sagen, woher all das Müde kommt, das Euch verdrießt; sie hat eine Sehnsucht, und Sehnsucht zehrt, sagt das Sprüchwort. Ja, Heidereiter, an wem was zehrt, der wird matt und müd. Und seht,
das
ist es.«
Es schien, daß Baltzer Bocholt antworten wollte, Sörgel aber litt es nicht und fuhr in einer ihm sonst fremden Erregung fort: »Achtet nur, wie sie wechselt, und ist mal rot und mal blaß und mal hell und mal trüb. Und seht, das ist nicht Trägheit des Fleisches, die sich wegzwingen läßt, das ist ein Geheimnis im Blut. Ihr wißt ja, woher das rote Haar stammt und die langen Wimpern, und daher stammt auch das Blut. Und wie das Blut ist, ist auch die Seele.«
Der Heidereiter war nicht überführt, aber er beschloß doch, es gehenzulassen.
Und Hilde war nun vierzehn, und am Palmsonntage sollte sie mit Martin und den anderen Konfirmanden eingesegnet werden.
Es waren noch sechs Wochen bis dahin, und als wieder eine biblische Geschichtsstunde war, sagte Sörgel: »Ihr seid nun fest im Alten Testament, und die Hilde weiß es vorwärts und rückwärts. Aber den Alten Bund, den hatten die Juden auch, und ist nun Zeit, Kinder, daß wir uns um Jesum Christum, unseren Herrn und Heiland, kümmern. Sage mir, Hilde, was du von ihm weißt?«
Hilde richtete sich auf und säumte nicht, von Bethlehem und Christi Geburt eine gute Beschreibung zu machen; und als er fragte, wo sie das herhabe, berichtete sie von der ersten Weihnachtsbescherung in ihres Pflegevaters Haus und von der Krippe, die Martin aufgebaut, und zuletzt auch von dem Aufschluß, den ihr Grissel gegeben habe.
»Das ist gut. Und ich sehe wohl, die Grissel ist eine kluge Person und ein rechtes Küsters- und Schulmeisterskind, dem es von Jugend auf alles in succum et sanguinem gegangen ist, das heißt: in Fleisch und Blut. Und darauf kommt es an. Denn seht, Kinder, das Christentum will erfahren sein, das ist die Hauptsache; aber es muß freilich auch
gelernt
werden, dann hat man's, wenn man's braucht. Etwas Schule brauchen wir alle. Nicht wahr, Hilde?«
Hilde schwieg aus Respekt, und der Alte fuhr fort: »Es muß auch gelernt werden, sag ich. Und so lernet mir denn die drei Stücke, darin steckt alles. In den drei Stücken und in den Zehn Geboten.
Die
gehören mit dazu, sonst wird uns in unserem Glauben zu wohl, und wir vergessen um des Jenseits willen, was wir dem Diesseits schuldig sind. Also die drei Hauptstücke. Heut ist Dienstag, und nächsten Dienstag frag ich euch danach. Da habt ihr eine volle Woche Zeit. Und nun geht und gehabt euch wohl, und Gott und ein gutes Gedächtnis seien mit euch.«
Und nun war wieder Dienstag, und beide Katechumenen saßen wieder auf der kleinen Bank in der stillen Stube. Martin sah tapfer und sicher aus, aber Hilde schlug verlegen die Augen nieder.
»Also die drei Hauptstücke«, hob Sörgel an. »Nun laß hören, Hilde. Rasch und fest. Aber nicht zu rasch.«
»Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden.«
»Gut. Also du glaubst an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden. Und nun gib mir auch unseres Doktor Luthers Erklärung und sage mir: Was ist das?«
»Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat . .« Hier stockte sie und war wie mit Blut übergossen. Endlich aber sagte sie: »Weiter weiß ich es
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