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Ellernklipp

Ellernklipp

Titel: Ellernklipp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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sahen in aller Deutlichkeit, wie sie den Wilderer auf der großen Straße herantrugen. Es waren ihrer vier, lauter Holzschläger; sie hatten aus ein paar jungen Ellern eine Trage gemacht. Über den Toten selbst aber waren Tannenzweige gebreitet. Und so gingen sie vorüber und grüßten nicht.
    »Sieh, Martin«, sagte Grissel, »sie grüßen uns nicht. Und ich weiß wohl, warum nicht. Weil ihnen allen der Wilddieb im Leibe steckt. Oh, ich kenne sie! Was Gesetz ist, das wissen sie nicht. Und ein Glück ist es, daß wir es wissen. Und nun komm... Die Hilde kann kein Blut sehen und hat sich, als ob es der letzte Tag wäre... Aber es lernt sich...«
    Und damit gingen sie wieder ins Haus.
     
    Unter Sturm und Regen hatte die Woche begonnen und blieb auch so bis zuletzt, und wenn der Himmel einmal blau war, so ballte sich rasch wieder ein neu Gewölk zusammen und kam von den Bergen herunter und ging zu Tal. Und dabei war es kalt, und Hilde fror.
    Es war eine freudlose Woche, freudlos und unruhig, und jeder ging seinen Weg; aber sowenig dies alles zu Palmsonntag paßte, so war es doch auch wieder ein Glück und half Hilden über die Pein fort, an der Seite des Vaters sitzen und ihm in die Augen sehen zu müssen. Er war viel aus dem Haus, oben bei der Gräfin und dann wieder auf dem Ilseburger Gericht, und wenn er spätnachmittags zurückkehrte, schloß er sich ein und wollte niemand sehen, auch Hilde nicht. Er war verbittert, weil ihm nicht entgehen konnte, daß ihm die Herren vom Gericht in der Bugisch-Sache nur ein halbes Recht gaben, und weil ihn die Gräfin gefragt hatte: »Baltzer Bocholt, mußt es denn sein?« Und er hatte bitter geantwortet: »Ob es mußte? Ja, Frau Gräfin, es mußte. Denn ich bin nicht bloß ein Mann im Dienst, ich bin auch ein Christ und kenne das fünfte Gebot und weiß, was es heißt, eines Menschen Blut auf der Seele haben.« Und danach hatte die Gräfin eingelenkt und ihn wieder zu beruhigen gesucht. Aber die Kränkung war geblieben.
    Und so kam Palmsonntag und Einsegnung heran, und schon in aller Frühe gingen die Glocken. Als es aber das zweite Mal zu läuten anfing, erschien Baltzer Bocholt in der Tür seines Hauses und sah ernst und feierlich aus und nahm seinen Hut ab und strich ihn zwei-, dreimal mit dem einen seiner gemsledernen Handschuhe. Denn er war sich wohl bewußt, daß es auch ein wichtiger Gang für
ihn
war und daß viele von den Emmerodern ebenso dachten wie die Gräfin oben und sich auch die Frage gestellt hatten: ob es denn habe sein müssen? Er wußte dies alles und stieg langsam und in Gedanken die Vortreppe nieder, und erst jenseits der Birkenbrücke sah er sich nach den Kindern um, die wenige Schritte hinter ihm folgten. In einiger Entfernung aber kam Grissel und weit zurück erst Joost. Er hatte mit Grissel gehen wollen, die jedoch ärgerlich den Kopf geschüttelt und ihm gesagt hatte: »Nei, Joost, hüt nich.« Und er mußte sich's gefallen lassen; denn er war bloß eines Büdners Sohn und sprach immer platt.
    In der Kirche waren erst wenige Plätze besetzt, und nur die Orgel spielte schon. Und Baltzer Bocholt, als er eintrat, ging das Kirchenschiff hinauf und nahm hier auf einer der beiden Bänke Platz, die für die nächsten Verwandten der Einsegnungskinder bestimmt waren. Es war die nach rechts hin stehende Bank, und Martin und Hilde stellten sich dicht davor, ganz nahe dem Altar, alles, wie Sörgel es ihnen gesagt hatte.
    Und hier hörte nun Hilde, wie sich die Kirche hinter ihr füllte, und sah auch mit halbem Auge, wie sich die Reihe der neben ihr stehenden Kinder nach beiden Seiten hin verlängerte. Aber sie rührte sich nicht und blickte sich nicht um. Und nun wurde gesungen; und als der Gesang endlich schwieg und Martin das Glaubensbekenntnis gesprochen hatte, richtete Sörgel seine Fragen an die Konfirmanden. Aber Hilden frug er nicht, denn er sah wohl, daß sie todblaß war und zitterte. Und nun gab er jedem Kinde seinen Spruch; an die vor ihm kniende Hilde aber trat er zuletzt heran und sagte: »Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.« Und sie wog jedes Wort in ihrem Herzen und kniete noch, als alles schon vorüber war und jedes der Kinder sich schon gewandt hatte, um Vater und Mutter zu begrüßen.
    Ganz zuletzt auch wandte
sie
sich und sah nun, daß ihr Vater auf seiner Bank allein saß.
    Und ein ungeheures Mitleid erfaßte sie für den in seiner Ehre gekränkten Mann, und sie vergaß ihrer Angst und lief auf ihn zu

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