Ellernklipp
Boden des rechten Glaubens ist; aber die kleine hat er, die heilt und hilft. Und
weil
er sie hat und weil er
das
hat, was die Menschen ein gutes Herz nennen, darum laß ich ihn und decke seine Schwäche vor aller Welt nicht auf.«
Unter diesem Gespräch hatte sich Hilde wieder aus dem Stück Zeug herausgewickelt und warf es ein paar Schritte hinter sich auf eine Stelle zu, die hoch in Gras stand, als ob sie bei der letzten Heumahd vergessen wäre. Die vordersten Bäume des Waldes traten bis dicht heran und bildeten ein Dach darüber.
»Es ist keine gute Stelle«, sagte der Alte, während er sich halb umwandte. »Da liegt der Heidenstein. Und ist ein Spuk dabei.«
»Spuk!« lachte Hilde. »Spuk! Und Ihr glaubt daran, Vater Melcher? Ich nicht, und der alte Sörgel auch nicht. Und wenn er hörte, daß Ihr von Spuk sprecht, so würd er auch wohl von ›Irrpfad‹ sprechen. Aber von
Eurem
!«
»Ja, das würd er«, antwortete Melcher Harms. »Ein jeder nach seinen Gaben. Und der Alte drüben ist arm und dunkel. Am dunkelsten aber da, wo seine Vernunft und seine Weisheit anfängt und sein Licht am hellen Tage brennt. Denn der halbe Glaube, der jetzt in die Welt gekommen ist und mit seinem armen irdischen Licht alles aufklären und erleuchten will und sich heller dünkt als die Gnadensonne, das ist das unnütze Licht, das bei Tage brennt.«
»Aber, Vater Melcher, Ihr sprecht von halbem Glauben und steht mit Eurem Spuk in dem, was schlimmer ist, im Aberglauben.«
»Nein, Hilde. So gewiß ein Gott ist – und ich hab es dir oft gesagt, und du hast es mir nachgesprochen –, so gewiß auch ist ein Teufel. Und sie haben
beid
ihre Heerscharen. Und nun höre wohl. An die lichten Heerscharen, da glauben sie, die Klugen und Selbstgerechten, aber an die finsteren Heerscharen, da glauben sie
nicht
. Und sind doch so sicher da wie die lichten. Und tun beide, was über die Natur geht,
über die Natur, soweit wir sie verstehen
. Und tun es die guten Engel, so heißt es Wunder, und tun es die bösen Engel, so heißt es Spuk.«
»Und meint Ihr, daß auch die Gräfin drüben daran glaubt?« entgegnete Hilde.
»
Die
glaubt daran, denn sie hat davon an ihrem eigenen Haus erfahren. Aber auch das Wunder und die Gnade. Denn ihr Urahn, der war Kämmerling im Dienste von Herzog Heinrich, von dem du wissen wirst. Und als der Herzog Heinrich wiederkam aus dem Gelobten Lande und der Spuk und der Versucher überwunden waren, da war alles Wunder und Gnade. Wunder und Gnade durch viele Jahre hin.«
»Oh, erzählt mir davon! Und danach auch von dem Kämmerling.«
Melcher Harms lächelte, daß ihr der Urahn der Gräfin so vor allem am Herzen zu liegen schien, und begann dann, während er sein Strickzeug wieder in die Hand nahm: »Es sind nun schon viele hundert Jahre, und unser Schloß drüben hatte noch keine Zacken und Giebel, da war alles hier herum ein großes, großes Land, und der Herr in dem Lande war Herzog Heinrich. Das Land aber hieß, wie heute noch, das Braunschweiger Land. Und als Kaiser Rotbart auszog, um das Grab zu gewinnen, da zog auch der Herzog Heinrich mit ihm, und seine Herzogin Mechthildis ließ er zurück in seinem Schloß.«
»Und auch den Kämmerling?«
»Auch
den
.«
»Und wie hieß der?«
»Einhart von Burckersrode. Der blieb bei der Herzogin und war schon alt. Herzog Heinrich aber fuhr mit dem Kaiser flußabwärts viele, viele Wochen lang. Und auf Ostern kamen sie bis an eine große Stadt, die schon am Meere lag, und empfingen Geschenke, so viel, daß sich jeder, der mit ihnen war, in Sammet und Seide kleiden konnte.«
»In Sammet und Seide!« bewunderte Hilde.
»Und danach stiegen sie wieder zu Schiff und fuhren dem Gelobten Lande zu. Aber sie fanden es nicht, und alle starben Hungers; und als die Not am größten war, da senkte sich ein Wundervogel herab, den sie Greif nennen, der hob den Herzog in seinen Fängen auf und trug ihn ans Ufer in sein Nest. Da waren viel junge Greife, die die Hälse nach ihm reckten, aber er erschlug sie, groß und klein, und nahm eine Greifenklaue mit sich. Die hängt im Dome bis diesen Tag.«
»Ich weiß. Aber wie geht es weiter?«
»Und danach stieg unser Herzog aus dem Greifennest und sah sich in einem tiefen Walde, darin ein Drachen und ein Löwe miteinander kämpften. Er aber stellte sich zu dem Löwen und tötete den Drachen. Und von Stund an war ihm der Löwe treu und untertan und trug ihm die Hirsch und Rehe zu.
So zogen sie miteinander eine lange Strecke Wegs; aber der
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