Ellernklipp
Wald war endlos, und sie kamen nicht heraus.
Da befiel den Herzog eine tiefe Trauer, zumal wenn er an sein Land und seine Herzogin gedachte. Denn es ging nun schon in das siebente Jahr, daß er ausgezogen war. Und als er so lag, erschien ihm der Versucher und sagte: ›Gestern mittag ist ein anderer bei dir eingezogen und will Wirtschaft halten. Und er nimmt dein Weib und dein Land.‹ Und bei diesen Worten grämte sich der Herzog mehr noch als zuvor, denn er liebte die Herzogin; und er rang und betete, wie wir alle tun, wenn wir in Not und Bitterkeit des Herzens sind, und rief Gott an um seine Hülfe und seinen Beistand. Und das alles hörte der Versucher und sagte: ›Du redest umsonst zu deinem Gott;
ich
aber, ich werde dir helfen und dich bis in deine Stadt führen,
heute
noch, und dich ohne Schaden auf den Giersberg niederlegen. Danach aber werd ich in diesen Wald zurückkehren und auch deinen Löwen einholen. Und alles, was du zu tun hast, ist, daß du zwischeninne nicht schlafen sollst; und schläfst du
nicht
, so hast du gewonnen, und schläfst du
doch, so
hast du verspielt und bist mein mit Leib und mit Seele.‹
Darein willigte der Herzog, und der Versucher ergriff ihn und trug ihn im Sturme durch die Luft.«
In diesem Augenblick aber zuckte Hilde heftig zusammen, denn ein Windstoß, als wär es der Sturm, von dem Melcher Harms eben gesprochen hatte, fuhr über die Stelle fort, wo sie saßen, und die Schalen der Bucheckern, die bis dahin oben am Waldesrande hin gelegen hatten, tanzten an ihnen vorüber.
Und dann war es wieder still, und der Alte, der des Zwischenfalles nur wenig geachtet hatte, nahm den Faden wieder auf und erzählte weiter: »Und siehe, der Versucher hielt sein Wort und legte den Herzog auf den Giersberg nieder und fuhr auch im Fluge wieder zurück, daß er den Löwen hole. Den Herzog aber überkam eine Todesmüdigkeit, und wiewohlen er wußte: ›Wachet und betet‹, so war seines Fleisches Schwäche doch größer als seine Kraft, und er schlief ein. Fest und schwer. Und als nun der Böse mit dem Löwen abermals herankam und schon aus der Ferne den Herzog schlafen sah, da wurd ihm wohl in seinem teuflischen Herzen, und er freute sich seines Sieges; aber der Löwe hatte seinen Herzog auch gesehen, und weil er den Schlafenden nicht als schlafend erkannte, wohl aber ihn schon gestorben glaubte, so fing er an zu brüllen vor Schmerz über den Tod seines Herrn. Und von diesem Gebrüll erwachte der Herzog und war gerettet, gerettet durch die
Treue
. Ja, Hilde, die rettet immer. Und Gott erhalte sie dir, so du sie hast, und gebe sie dir, so du sie nicht hast.«
Es war ersichtlich, daß er in gleichem Sinne noch weitersprechen wollte. Wie von ungefähr aber wurd in eben diesem Augenblick ein Knistern hörbar, und als beide sich umblickten, sahen sie, daß Martin auf dem Heidensteine stand und das Mantelstück ihnen wie zu Gruß und Willkomm entgegenschwenkte. »Hoiho!« Und gleich danach sprang er auf sie zu, bot ihnen guten Tag und setzte sich.
»Von wo kommst du ?« fragte Hilde.
»Von woher ich immer komme. Von den Holzschlägern. Es ist jetzt
da
hin, daß sie schlagen, keine fünfhundert Schritt hinter Ellernklipp. Und wenn Vater Harms den Wiesenstrich nimmt, der zwischen dem Kamp und dem Walde läuft, dann ist es zum Abrufen nah.«
»Aber wie kamst du nur auf den Stein?«
»Ich schlich mich ran und duckte mich.«
Unter diesem Gespräche war Melcher Harms immer ernster und unruhiger geworden. Hilde jedoch hatte seiner Unruhe nicht acht und sagte nur: »Ich will das Ende hören.«
Und der Alte bezwang alles, was von Furcht und Sorge während dieser letzten Minuten über ihn gekommen war, und sagte, während er sich wieder zu Hilde wandte: »Die Treue seines Löwen also hatte den Herzog gerettet. Und so ging er bis vor das Schloß und hörte von der Halle her eine große Musik von Trommeln und Pfeifen, und er wußte nun wohl, daß es eine Hochzeit sei. Da nahm er einen Ring vom Finger, gab ihn dem alten Burckersrode – dem Kämmerling – und beschwor ihn, daß er den Ring zur Herzogin Mechthildis hineintrage. Und als diese des Ringes ansichtig wurde, hob sie sich von der Tafel und sagte: ›Das ist meines lieben Herrn Ring, und er ist wieder da und ist
nicht
tot, und ich will ihn sehen und wieder die Seine sein.‹ Und als sie so gesprochen, führte man den Fremden, von dem der Ring kam, in die Halle des Schlosses, und die Herzogin sank vor ihm nieder und rief: ›Ich danke Gott,
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