Ellorans Traum
streng.
Ich seufzte entmutigt. »Jemaina, ich w-weiß einfach nicht, was richtig und was falsch ist«, flehte ich. »Kannst du mir nicht helfen? Ich möchte euch nicht verlieren, aber ich will mit jeder Faser meines Körpers mit ihnen gehen. Was soll ich nur tun?«
Sie schüttelte erbarmungslos den Kopf. »Ich kann dir nicht raten, Kind. Du mußt diese Entscheidung alleine treffen. Aber meine – unsere guten Wünsche begleiten dich, wenn du gehst. Niemand wird dir diese Entscheidung verübeln, das mußt du mir glauben. Wir alle wollen, daß du glücklich wirst, Elloran.«
Natürlich hatte sie recht, es war allein meine Wahl, niemand konnte mir dabei helfen. Ich küßte sie und warf einen letzten Blick auf die reglos daliegende Leonie. Magramanir, die auf dem Bettpfosten saß, hob ihre Flügel und gab einen erstaunlich sanft klingenden Laut von sich. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und sagte leise: »Ich gehe jetzt und spreche m-mit Jenka.« Jemaina sah mich mitfühlend an und klopfte mir aufmunternd auf den Arm.
Es war spät geworden. Jenka mußte inzwischen turnusmäßig wieder der ersten Wache zugeteilt sein, also würde ich sie vielleicht in unserem Quartier finden. Auf müden Beinen begab ich mich dorthin und stand eine Weile mit angstvoll schlagendem Herzen vor der Tür. Vorher hatte ich noch einen kleinen Umweg zu den Gästequartieren gemacht und Nikal benachrichtigt, daß ich am anderen Morgen schon mit ihm abreisen wollte. Er hatte mich mit komischer Besorgnis angesehen, und ich hatte wider Willen lachen müssen.
»Brauchst du nicht Zeit, um deine Sachen zu packen? Denk daran, du wirst lange von hier fort sein.«
»Länger, als du denkst«, hatte ich erwidert, Leonies Worte im Ohr. »Nein, Nik, danke. Ich bin daran gewöhnt, mit kleinem Gepäck zu reisen. Es gibt nicht viel, das ich mitnehmen möchte.«
Ich faßte mir ein Herz und öffnete die Tür zu meinem Zimmer. Es war dunkel, nur ein schwacher Schimmer von Mondlicht drang durch das geöffnete Fenster. Eine Weile stand ich schweigend an der Tür, dann vernahm ich ein leises Rascheln, das von der Fensternische herzurühren schien. Ich schritt leise durch den Raum und trat ans Fenster. Wie ich vermutet hatte, saß dort meine Liebste und blickte hinaus in die Nacht. Sie wandte sich nicht zu mir um.
»W-woher weißt du es?« fragte ich stockend nach einigen bangen Augenblicken. Sie rührte sich nicht. Ich hörte ihren leisen, schluchzenden Atem und wagte nicht, sie zu berühren.
»Ich wußte es, seit du zu ihnen gegangen bist«, antwortete sie schließlich mühsam. Es raschelte leise, und sie drehte sich zu mir um. Ich konnte ihr Gesicht nicht deutlich erkennen, aber ich sah das Weiße in ihren Augen verräterisch glänzen. Mit einem schmerzlichen Aufschluchzen nahm ich sie in die Arme. Ihr Kopf lag schwer an meiner Brust.
»Du liebst ihn sehr, nicht wahr?« flüsterte sie. Ich hörte die mühsam verborgene Eifersucht in ihrer Stimme und wußte nicht, was ich ihr sagen sollte. »Mehr als mich?« fragte sie schluchzend.
»Nein!« Ich schrie es fast.
»Warum gehst du dann mit ihm?« Auch ihre Stimme wurde lauter.
Ich schüttelte verzweifelt den Kopf. »Jen, Liebste, Tom ist nicht der Grund, warum ich mit ihnen gehe. Ich kann dort so vieles lernen; es drängt mich so sehr, all das Neue und Fremde zu sehen, w-was sie mir zeigen können ...« Meine Stimme versagte. Es klang so dürr und unbefriedigend, aber ich fand die Worte nicht, mit denen ich ihr hätte erklären können, was mich so unwiderstehlich dort hinauszog. Ich starrte über ihren Kopf hinweg in den Himmel. All die unbekannten Sonnen über uns lockten und riefen mit unhörbaren Stimmen nach mir. Leise und stockend begann ich, von ihnen zu sprechen, mehr zu mir selbst als zu Jenka. Sie lauschte, ohne mich zu unterbrechen.
Irgendwann verstummte ich, und wir saßen lange, lange dort und blickten hinauf in den Himmel. Jenkas Hand stahl sich in meine und drückte sie fest.
»Ich wünsche dir, daß du glücklich wirst«, hauchte sie mit belegter Stimme. »Ich werde dich nie vergessen. Ach, Ell, wenn ich doch mit dir kommen könnte!« Ich vernahm die Echos all der Abschiede dieses Tages in ihren Worten und glaubte, mein Herz würde darüber zerspringen.
Stumm und verweint sah sie mir am Morgen zu, wie ich meine wenigen Habseligkeiten in ein Bündel schnürte. »Darf ich mitkommen auf den Turm?« fragte sie schüchtern. Ich zögerte. Es wäre mir leichter gewesen, in das
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