Elwin - Rosenwasser (German Edition)
geradewegs weiter über die große Wiese den Hang hinunter, bis sie im Wald verschwunden waren.
Rago ging hinter den Männern her. Sie mussten nicht sehen, dass er humpelte und kaum gerade gehen konnte. An einem Baum am Waldrand blieb er stehen und blickte zurück auf den Burgwall.
Das war verdammt knapp! Der kleine Kerl mit den langen Ohren, der aus der Schatzkiste, erschien eben auf dem Burgwall und führte einen Bohaben zur Brücke. Rago rührte sich nicht. Er wusste, man konnte ihn nicht sehen. Aber er sah ihn und prägte sich das Gesicht ein. Dann wandte Rago sich ab und folgte seinen Männern.
Befreiung
»Ich kenne die Landsburg«, erklärte Königin Mala und bedeutete Elwin mit der Hand, vorzugehen. »Benabur, der König der Nordanen, war ein sehr charmanter Mann«, fuhr sie fort. »Ich habe ihn vor langer Zeit bei einem Fest zur Mittsommernacht kennengelernt.«
Groohi sah die Königin aufmerksam an, während Elwin sie durch die Wiese hinauf zur Burg führte.
»Ja, Groohi. Ich bin schon sehr alt und habe in meinem Leben viele Freunde gewonnen und auch verloren, da sie nicht so alt werden wie ich. Benabur war ein Pechvogel. Er tat seinem Volk Gutes, wollte immer das Beste, war aber glücklos ...«
Die drei erreichten den oberen Wall. Elwin blickte sich um und lauschte. Die Burg war ruhig.
»Die Männer scheinen nicht mehr da zu sein«, flüsterte er. »Groohi und ich sehen besser nach«, erklärte er, um sich sogleich zu verbessern: »Wenn wir dürfen, ich meine, die Erlaubnis haben.«
Königin Mala schmunzelte.
»Geht nur, ich warte hier.«
Elwin ging um die Burg und schaute zur Brücke. Niemand war zu sehen. Hatten die Männer die Burg verlassen oder lauerten sie ihnen in einem Hinterhalt auf? Langsam ging er weiter. Dann hörte er Stimmen. Sie kamen aus dem Wald unterhalb der Wiese, leises Gemurmel mehrerer Männer. Elwin blieb stehen, blickte über die Wiese zu den Bäumen hinab und wartete. Groohi hatte wohl auch etwas gehört und stand ruhig hinter ihm.
Die Stimmen waren verstummt. Elwin suchte mit dem Blick das Gras ab und entdeckte eine Spur abgeknickter Halme. Hatte er eben die Stimmen der Männer der Prinzengarde gehört? Waren sie hastig aufgebrochen und geflüchtet? Elwin sah Groohi fragend an, doch der hatte auch keine Erklärung und zuckte nur mit den Schultern.
Die beiden traten auf die Brücke, Elwin ging zum Tor und drückte den Griff hinunter. Das Tor war verschlossen. Er schlug mit der Faust dagegen und rief: »Blacky! Sahn! Hört ihr mich?«
Niemand antwortete.
»Wir müssen irgendwie hinein«, bemerkte Groohi.
»Dann reicht mir die Hände«, sagte Königin Mala, die hinter ihnen auf der Brücke stand. Leise war sie den Freunden gefolgt.
»Die Männer um Rago und er selbst sind nicht mehr hier«, erklärte sie. »Sie kennen die Strafe, fürchten sich vor der Verdammnis und sind geflüchtet.« Sie ließ den Blick über die Mauer schweifen, auf die Brücke und die Wälder.
»Ich spüre deutlich, dass sie nicht mehr hier sind. Lasst uns in der Burg nachsehen.« Sie nahm Elwin und Groohi an den Händen, im nächsten Moment standen sie im Innenhof und schauten sich um. Die Tür eines Turmes war offen, Tische und Bänke lagen umgestürzt auf dem Boden, dazwischen eine schwarze Karre.
»Hier gab es wohl eine heftige Prügelei«, bemerkte Groohi.
Elwin sah ihn missbilligend an. Drei Leute waren bereit gewesen, ihr Leben für Maledonia zu gegeben und der Freund sprach, als wären das hier die Überreste einer Kraftprobe zwischen übermütigen jungen Männern.
»In diesem Turm stehen die Schatzkisten«, erklärte Elwin und wollte vorangehen, doch Königin Mala hüstelte knapp und Elwin ließ ihr verlegen den Vortritt.
»Ich kenne den Turm. Dort oben wohnte Benabur«, sagte sie, betrat den unteren Raum, ging zur Treppe und stieg empor. Der zerbrochene Besenstiel lag noch auf den Stufen, die Tür zu der ersten Kammer stand weit offen.
»Wie schrecklich es hier riecht«, flüsterte Königin Mala, hielt sich eine Hand vor den Mund und durchquerte eilig den Raum zur Kammer, wo der Prinz die Zeit seiner Verbannung verbracht hatte. Die meisten Fackeln waren erloschen, nur noch zwei spendeten Licht.
»Da seht!«, rief Groohi erleichtert und lief zur den Schatzkisten, die auf einem Tisch standen. »Sie sind unversehrt«, sagte er nach einer kurzen Überprüfung und lächelte.
Königin Mala nickte und verließ geschwind den Turm. Die Freunde blickten sich beklommen an und folgten ihr.
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