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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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ge­we­sen war. Ich wuß­te
nicht, wes­halb man ihn jetzt nicht wie­der ein­rei­sen ließ, ich frag­te auch nicht
da­nach. Ich hat­te zu oft er­lebt, daß man Leu­te ein­fach des­halb aus­wies, weil
sie in kei­ne Spal­te des Fra­ge­bo­gens paß­ten. Der Tür­ke gab mir die Adres­se ei­nes
Rus­sen, der in New York wohn­te und den er aus frü­he­ren Zei­ten kann­te. Er wuß­te
frei­lich nicht, ob er noch am Le­ben war. Als ich frei­ge­las­sen wur­de, ging ich
trotz­dem so­fort hin. Es war selbst­ver­ständ­lich, daß ich das tat; ich hat­te ja
seit Jah­ren so ge­lebt. Leu­te, die auf der Flucht wa­ren, muß­ten mit Zu­fäl­len
wei­ter­le­ben, und je un­wahr­schein­li­cher sie wa­ren, de­sto nor­ma­ler ka­men sie
ei­nem vor. Es wa­ren die Mär­chen von heu­te; sie wa­ren nicht sehr er­hei­ternd,
aber die en­de­ten über­ra­schen­der­wei­se oft bes­ser, als man er­war­tet hat­te.
    Der Rus­se ar­bei­te­te in ei­nem klei­nen, sehr
her­un­ter­ge­kom­me­nen Ho­tel in der Nä­he des Broad­way. Er nann­te sich Me­li­kow,
sprach deutsch und nahm mich so­fort auf. Als al­ter Emi­grant hat­te er einen
Blick für das, was mir fehl­te: ein Un­ter­kom­men und Ar­beit. Das Un­ter­kom­men war
leicht ge­fun­den; er hat­te ein zwei­tes Bett, das er in sei­nem Zim­mer
un­ter­brach­te. Mit ei­nem Tou­ris­ten­vi­sum war es mir ver­bo­ten zu ar­bei­ten, ich
hät­te da­für ein an­de­res ha­ben müs­sen: ein Ein­rei­se­vi­sum mit ei­ner Quo­ta­num­mer.
Ich muß­te al­so heim­lich ar­bei­ten. Ich kann­te das aus Eu­ro­pa, und es stör­te mich
nicht be­son­ders. Ich hat­te auch noch et­was Geld.
    »Ha­ben Sie ei­ne Ah­nung, wo­von Sie le­ben
könn­ten?« frag­te mich Me­li­kow.
    »Ich ha­be in Frank­reich zu­letzt als
Schlep­per für Händ­ler mit zwei­fel­haf­ten Bil­dern und falschen An­ti­qui­tä­ten
ge­lebt.«
    »Ver­ste­hen Sie et­was da­von?«
    »Nicht viel, aber ei­ni­ges von den üb­li­chen
Prak­ti­ken.«
    »Wo ha­ben Sie die ge­lernt?«
    »Ich war zwei Jah­re lang im Mu­se­um in
Brüs­sel.«
    »An­ge­stellt?« frag­te Me­li­kow über­rascht.
    »Ver­steckt«, ant­wor­te­te ich.
    »Vor den Deut­schen?«
    »Vor den Deut­schen, die Bel­gi­en ein­ge­nom­men
hat­ten.«
    »Zwei Jah­re?« sag­te Me­li­kow. »Und man hat
Sie nicht ge­fun­den?«
    »Mich nicht. Aber den Mann, der mich
ver­steckt hat.«
    Me­li­kow sah mich an. »Sie sind ent­kom­men?«
    »Ja.«
    »Ha­ben Sie von dem an­de­ren noch et­was
ge­hört?«
    »Das Üb­li­che. Man hat ihn in ein La­ger
ge­bracht.«
    »War er Deut­scher?«
    »Bel­gier. Di­rek­tor des Mu­se­ums.«
    Me­li­kow nick­te. »Wie konn­ten Sie so lan­ge
un­ent­deckt blei­ben?« frag­te er dann. »Ka­men kei­ne Be­su­cher in das Mu­se­um?«
    »Doch. Tags­über war ich im Kel­ler in ei­nem
Ab­stell­raum ein­ge­schlos­sen. Abends kam der Di­rek­tor, brach­te mir Es­sen und
öff­ne­te mir für die Nacht mein Ver­steck. Ich blieb im Mu­se­um, aber ich konn­te
aus dem Kel­ler her­aus. Licht durf­te ich na­tür­lich nicht ma­chen.«
    »Wuß­ten an­de­re An­ge­stell­te da­von?«
    »Nein. Der Ab­stell­raum hat­te kei­ne Fens­ter.
Ich muß­te still sein, wenn je­mand in den Kel­ler kam. Am meis­ten Sor­ge hat­te ich
da­vor, zur falschen Zeit nie­sen zu müs­sen.«
    »Hat man Sie da­durch ent­deckt?«
    »Nein. Es war je­man­dem auf­ge­fal­len, daß der
Di­rek­tor abends so oft im Mu­se­um blieb oder noch ein­mal zu­rück­ging.«
    »Ich ver­ste­he«, sag­te Me­li­kow. »Konn­ten Sie
le­sen?«
    »Nur nachts, im Som­mer und wenn der Mond
schi­en.«
    »Aber Sie konn­ten nachts im Mu­se­um
um­her­ge­hen und die Bil­der an­se­hen?«
    »So­lan­ge man sie se­hen konn­te.«
    Me­li­kow lä­chel­te. »Ich muß­te wäh­rend der
Flucht aus Ruß­land an der fin­ni­schen Gren­ze ein­mal sechs Ta­ge un­ter dem
Holz­sta­pel ei­nes Block­hau­ses lie­gen. Als ich her­aus­kam, dach­te ich, es wä­re
viel län­ger ge­we­sen. Min­des­tens vier­zehn Ta­ge. Aber ich war da­mals jung, und
für einen jun­gen Men­schen ver­geht die Zeit oh­ne­hin lang­sa­mer. Sind Sie
hung­rig?« füg­te er oh­ne Über­gang hin­zu.
    »Ja«, sag­te ich, »sehr so­gar.«
    »Das dach­te ich. Man ist

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