E.M. Remarque
der Vorteile der Emigration ist, daß man so oft Abschied
nehmen muß und dann ein Wiedersehen feiern kann. Gibt einem die Illusion eines
langen Lebens.«
Weder Lachmann noch ich antworteten.
Melikow kam von einer anderen Generation – der von 1917. Was uns noch
brannte, war für ihn schon Erinnerung geworden. »Salut, Wladimir«, sagte ich
schließlich. »Warum sind wir nicht alle als Jogis geboren worden?«
»Ich wäre schon zufrieden gewesen, nicht in
Deutschland als Jude auf die Welt zu kommen«, erklärte Lachmann Merton.
»Ihr seid die Vorhut der Weltbürger«,
erwiderte Melikow ungerührt. »Benehmt euch zumindest wie Pioniere. Man wird
euch einmal Denkmäler setzen.«
»Wann?« sagte Lachmann.
»Wo?« fragte ich. »In Rußland?«
»Auf dem Mond«, erklärte Melikow und ging
zur Registriertheke, um einen Schlüssel herauszugeben.
»Ein Witzbold«, sagte Lachmann und sah
hinter ihm her. »Arbeitest du für ihn?«
»Was?«
»Mädchen. Gelegentlich etwas Morphium und
dergleichen. Wetten auch, glaube ich.«
»Bist du deswegen hier?«
»Nein. Ich bin verrückt nach einer Frau.
Stell dir das vor: Sie ist fünfzig, aus Puerto Rico, katholisch und hat nur
einen Fuß. Der andere ist ihr abgefahren worden. Sie hat irgend etwas mit einem
Mexikaner. Der Mexikaner ist ein Zuhälter. Für fünf Dollar würde er sogar das
Bett für uns machen. Aber sie will nicht. Absolut nicht. Sie glaubt, daß Gott
aus einer Wolke zuschaue. Auch nachts. Ich habe ihr gesagt, Gott sei
kurzsichtig; seit langem. Nichts zu machen. Aber sie nimmt Geld. Und
verspricht. Und lacht dann. Und verspricht wieder. Was sagst du dazu? Bin ich
deswegen nach Amerika gekommen? Es ist trostlos!«
Lachmann hatte einen Komplex, weil er
hinkte. Nach seinen Erzählungen war er früher ein mächtiger Schürzenjäger
gewesen. Ein SS-Sturm, der davon gehört hatte, hatte ihn in Berlin-Wilmersdorf
in sein Sturmlokal geschleppt, um ihn zu kastrieren, war aber dabei von der
Polizei – es war 1934 – gestört worden. Lachmann hatte nur ein paar
Narben und ein viermal gebrochenes Bein davongetragen, das schlecht verheilt
war. Seitdem hinkte er und hatte eine Vorliebe für Frauen mit leichten
Körperfehlern. Alles war ihm gleich, solange sie dicke, harte Hintern
vorwiesen. In Frankreich hatte er seiner Jagdlust unter den schwierigsten
Verhältnissen gefrönt. Er behauptete, in Rouen einmal eine Frau gekannt zu
haben, die drei Brüste besaß, die dazu noch auf dem Rücken lagen. Die Venus
Anadyomene war für ihn dagegen eine traurige Mißbildung gewesen, da die Dame
aus Rouen alles für seine Augen parat gehabt habe, ohne daß er sie umdrehen
mußte.
»Dazu steinhart!« sagte er schwärmerisch.
»Heißer Marmor!«
»Du hast dich aber nicht geändert, Kurt«,
sagte ich.
»Man ändert sich nie. Man schwört es sich
tausendmal. Man tut es sorgsam manchmal, wenn man am Boden liegt. Aber kaum
kann man wieder schnaufen, vergißt man es.« Lachmann schnaufte selbst. »Ist das
eigentlich heldenhaft oder idiotisch?«
Ich bemerkte, daß dicke Schweißtropfen auf
seiner faltigen, grauen Stirn standen. »Heldenhaft«, sagte ich. »In unserer
Situation soll man sich nur mit den besten Adjektiven schmücken. Wer seine
Seele zu sehr erforscht, stößt ohnehin bald auf ein Sieb, das in die Abwässer
dreckiger Kanäle führt.«
»Du bist auch derselbe geblieben.«
Lachmann-Merton wischte den Schweiß mit einem zerknüllten Taschentuch fort.
»Immer noch die Lust an populärer Philosophie, was?« – »Ich kann's nicht
lassen. Es beruhigt mich.«
Lachmann grinste unvermittelt. »Es gibt dir
ein Gefühl billiger Überlegenheit, das ist es.«
Ȇberlegenheit kann gar nicht billig genug
sein.«
Lachmann klappte den Mund zu.
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