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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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Ham­burg. In
Wirk­lich­keit in Han­no­ver.«
    »Man wird Sie we­der we­gen dem einen noch
we­gen dem an­dern aus­wei­sen kön­nen. Aber Sie könn­ten in ein In­ter­nie­rungs­la­ger
kom­men.«
    Ich hob die Schul­tern. »Ich bin in ei­nem
ge­we­sen, in Frank­reich.«
    »Ge­flo­hen?«
    »Eher ei­nes Ta­ges weg­ge­gan­gen. In der
all­ge­mei­nen Kon­fu­si­on der Nie­der­la­ge.«
    Me­li­kow nick­te. »Ich war auch in
Frank­reich. In der all­ge­mei­nen Kon­fu­si­on ei­nes Sie­ges, der nur theo­re­tisch war.
Neun­zehn­hun­dert­acht­zehn. Ich war aus Ruß­land ge­kom­men – über Finn­land und
Deutsch­land. Auf der ers­ten Wel­le der klei­nen Völ­ker­wan­de­rung. Glau­ben Sie
nicht, daß wir jetzt et­was Wod­ka brau­chen könn­ten?«
    »Ich ha­be ge­lernt, dem Schnaps zu
miß­trau­en«, er­klär­te ich. »Er hat mich ei­ni­ge Ma­le da­zu ge­bracht, mir selbst
zu­viel zu ver­trau­en. Zwei­mal mit scheuß­li­chen Re­sul­ta­ten – Ge­fäng­nis­se und
Un­ge­zie­fer.«
    »In Spa­ni­en?«
    »Nord­afri­ka.«
    »Ver­su­chen wir es trotz­dem ein drit­tes Mal.
Die Ge­fäng­nis­se hier sind sau­ber. Ich ha­be Wod­ka im Ho­tel. Hier be­kommt man
nichts.«
    »Sind Sie ein Ro­man­ti­ker?« frag­te Me­li­kow.
    »Nicht sehr oft. Die Po­li­zei faßt
Ro­man­ti­ker leich­ter als an­de­re.«
    »Dar­an brau­chen Sie doch für ein paar
Mo­na­te nicht zu den­ken.«
    »Das ist wahr. Ich bin noch nicht dar­an
ge­wöhnt.«
    Wir gin­gen zu Me­li­kows Ho­tel, aber ich
hielt es dort nicht lan­ge aus. Ich woll­te nichts trin­ken, ich woll­te auch nicht
in dem ver­brauch­ten Plüsch dort sit­zen, und Me­li­kows Zim­mer war zu klein. Ich
woll­te noch ein­mal hin­aus. Man hat­te mich lan­ge ge­nug ein­ge­sperrt. Selbst El­lis
Is­land war ein, wenn auch kom­for­ta­bles, Ge­fäng­nis ge­we­sen. Me­li­kows Be­mer­kung,
ich hät­te für die nächs­ten zwei Mo­na­te von der Po­li­zei nichts zu be­fürch­ten,
saß mir noch im Kopf. Das war ei­ne un­wahr­schein­lich lan­ge Zeit. »Wie lan­ge kann
ich noch weg­ge­hen?« frag­te ich.
    »So­lan­ge Sie wol­len.«
    »Wann ge­hen Sie schla­fen?«
    Me­li­kow mach­te ei­ne läs­si­ge Ges­te. »Nicht
vor mor­gen früh. Ich ha­be jetzt zu tun. Wol­len Sie ei­ne Frau su­chen? Das ist in
New York nicht so ein­fach wie in Pa­ris. Und et­was ge­fähr­li­cher.«
    »Nein. Ich will noch ein we­nig
her­um­lau­fen.«
    »Ei­ne Frau fin­den Sie leich­ter hier im
Ho­tel.«
    »Ich brau­che kei­ne.«
    »Man braucht im­mer ei­ne.«
    »Nicht heu­te.«
    »Sie sind al­so doch ein Ro­man­ti­ker«, sag­te
Me­li­kow. »Mer­ken Sie sich die Num­mer der Stra­ße hier und den Na­men des Ho­tels: Ho­tel
Reu­ben. Man fin­det sich in New York leicht zu­recht, fast al­le Stra­ßen ha­ben
hier Num­mern, nur we­ni­ge ha­ben Na­men.«
    So wie ich, dach­te ich – ei­ne Num­mer
mit ir­gend­ei­nem Na­men. Es war ei­ne wohl­tu­en­de An­ony­mi­tät; Na­men hat­ten mir
ge­nug Schwie­rig­kei­ten ge­bracht.
    ***
    Ich ließ mich durch die an­ony­me Stadt
trei­ben, de­ren hel­ler Rauch zum Him­mel stieg. Ei­ne düs­te­re Feu­er­säu­le bei Nacht
und ei­ne Wol­ken­säu­le bei Tag – hat­te nicht Gott auf ähn­li­che Wei­se dem
ers­ten Volk der Emi­gran­ten in der Wüs­te den Weg ge­wie­sen? Ich ging durch den
Re­gen von Wor­ten, Lärm, Ge­läch­ter und Schrei­en, der blind auf mei­ne Oh­ren
schlug – ich ver­stand nur den Lärm, nicht den Sinn. Ein je­der schi­en mir
hier, nach den dunklen Jah­ren in Eu­ro­pa, ein Pro­me­theus zu sein – der
schwei­ßi­ge Mann, der mir, von Elek­tri­zi­tät um­wit­tert, aus ei­ner La­den­tür
be­schwö­rend einen Arm voll So­cken und Hand­tü­cher zum Kau­fen ent­ge­gen­streck­te,
eben­so wie der Koch, der in ei­ner großen Pfan­ne Piz­za briet, von Fun­ken um­sprüht
wie ein nea­po­li­ta­ni­scher Gott. Da ich sie nicht ver­stand, wa­ren sie al­le in
ei­nem schier sym­bo­li­schen Sin­ne ih­rer Hand­lun­gen ent­klei­det. Sie wirk­ten auf
mich, als stän­den sie auf ei­ner Büh­ne. Sie wa­ren nicht nur Kell­ner, Kö­che,
An­rei­ßer und Ver­käu­fer, son­dern gleich­zei­tig Ma­rio­net­ten, die ein
un­ver­ständ­li­ches Spiel mit­ein­an­der spiel­ten,

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