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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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von dem ich aus­ge­schlos­sen war und
von dem ich nur die Um­ris­se wahr­nahm. Ich war mit­ten un­ter ih­nen und ge­hör­te
doch nicht da­zu, war ent­fernt durch et­was Un­sicht­ba­res, nicht durch ei­ne
Glas­wand und nicht durch ei­ne Di­stanz, nicht durch Feind­se­lig­keit und nicht
durch Frem­de, son­dern durch et­was, das nur mich al­lein an­ging und nur aus mir
kam. Dun­kel be­griff ich, daß es ein ein­ma­li­ger Au­gen­blick war, daß er so nie
wie­der käme. Schon mor­gen wür­de er et­was ver­wischt sein – nicht daß ich
all dem nä­her ge­kom­men wä­re, im Ge­gen­teil –, es war mög­lich, daß ich schon
mor­gen den Kampf be­gin­nen wür­de mit Ku­schen und Feil­schen und Ver­fäl­schen und
je­ner Trau­be aus Hal­b­lü­gen, aus der je­der Tag be­stand, aber heu­te nacht zeig­te
mir die Stadt ihr un­be­tei­lig­tes Ge­sicht.
    Ich wuß­te plötz­lich, daß ich jetzt, wo ich
an die­ser frem­den Küs­te an­ge­langt war, die Ge­fahr noch nicht über­stan­den hat­te,
daß sie im Ge­gen­teil erst rich­tig be­gann. Nicht die äu­ße­re, son­dern die von
in­nen. Ich war so lan­ge mit dem ein­fa­chen Über­le­ben be­schäf­tigt ge­we­sen, und
dar­in hat­te gleich­zei­tig mein Schutz ge­le­gen. Es war pri­mi­ti­ves Über­le­ben
ge­we­sen, wie bei der Pa­nik ei­nes Schiffs­un­ter­gan­ges, wo es kein an­de­res Ziel
gibt als das, zu über­le­ben. Jetzt, schon von mor­gen an, so­gar von die­ser
son­der­ba­ren Stun­de an, wür­de sich das Le­ben wie­der fä­cher­för­mig vor mir
aus­brei­ten, es wür­de wie­der ei­ne Zu­kunft, aber auch ei­ne Ver­gan­gen­heit ha­ben,
ei­ne Ver­gan­gen­heit, die mich leicht er­schla­gen konn­te, wenn ich sie nicht
ver­gaß oder sie be­wäl­ti­gen konn­te. Ich wuß­te plötz­lich, daß das Eis, das sie
ge­bil­det hat­te, noch für lan­ge Zeit zu dünn wä­re, um dar­auf zu ge­hen. Ich wür­de
ein­bre­chen. Ich muß­te es ver­mei­den. Gab es das noch ein­mal, von vorn, so wie
die Spra­che, die neue un­be­kann­te, die vor mir lag, um ge­deu­tet zu wer­den, gab
es das noch ein­mal: das Le­ben, und war es nicht Ver­rat, war es Mord, dop­pel­ter
Mord an ge­lieb­ten To­ten?
    Ich dreh­te mich rasch um und ging zu­rück,
ver­wirrt und tief auf­ge­rührt, ich blick­te nicht mehr um­her, und ich war fast
atem­los, als ich das Ho­tel vor mir sah – nicht breit und waag­recht und
au­gen­fäl­lig wie an­de­re Ho­tels, son­dern schmal und un­auf­fäl­lig.
    Ich trat durch die Tür, die durch falsche
Mar­mor­leis­ten ver­un­stal­tet wur­de, und sah Me­li­kow hin­ter der The­ke in ei­nem
Schau­kel­stuhl dö­sen. Er öff­ne­te die Au­gen, die für einen Mo­ment lid­los wirk­ten
wie die ei­nes al­ten Pa­pa­gei­en, dann wur­den sie blau und hell.
    »Spie­len Sie Schach?« sag­te er und er­hob
sich.
    »Wie je­der Emi­grant.«
    »Gut. Ich ho­le den Wod­ka.«
    Er ging die Trep­pe hin­auf. Ich sah mich um.
Mir war be­reits, als wä­re ich nach Hau­se ge­kom­men. Wer nir­gend­wo zu Hau­se ist,
spürt das leicht.

II.
    M ein Eng­lisch ver­bes­ser­te sich
rasch, und nach vier­zehn Ta­gen hat­te ich be­reits die Kennt­nis­se ei­nes
Fünf­zehn­jäh­ri­gen. Ich saß mor­gens ei­ni­ge Stun­den lang mit ei­ner Gram­ma­tik im
ro­ten Plüsch des Ho­tels Reu­ben her­um und such­te nach­mit­tags je­de sich bie­ten­de
Ge­le­gen­heit zu eng­li­scher Kon­ver­sa­ti­on. Ich ging da­bei oh­ne Scham und Scheu
vor. Als ich merk­te, daß ich nach zehn Ta­gen, die ich mit Me­li­kow ver­bracht
hat­te, einen rus­si­schen Ak­zent be­kam, wand­te ich mich an Gäs­te und An­ge­stell­te
des Ho­tels. Ich be­kam nach­ein­an­der einen deut­schen, jü­di­schen, fran­zö­si­schen
und zum Schluß, als ich ganz si­cher glaub­te, bei den Auf­war­te­frau­en und
Stu­ben­mäd­chen auf wasch­ech­te Ame­ri­ka­ne­rin­nen ge­sto­ßen zu sein, einen schwe­ren
Broo­klyn-Ak­zent.
    »Du mußt ein Ver­hält­nis mit ei­ner jun­gen
Ame­ri­ka­ne­rin an­fan­gen«, sag­te Me­li­kow, mit dem ich mich in­zwi­schen duz­te.
    »Aus Broo­klyn?« frag­te ich.
    »Lie­ber aus Bo­ston. Dort spricht man am
bes­ten.«
    »Warum nicht mit ei­ner Leh­re­rin aus Bo­ston?
Das wä­re noch

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