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Emil und die drei Zwillinge

Emil und die drei Zwillinge

Titel: Emil und die drei Zwillinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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trat der Justizrat in die Veranda. „Was lest ihr denn da?“ Sein Sohn erzählte es ihm.
    „Aha“, sagte der Justizrat. „Wilhelm Meisters Wanderjahre.“
    „Ich bin ganz entschieden gegen gesungenen Unterricht“, erklärte Gustav. „Ich habe im Singen eine Vier. Weil ich total unmusikalisch bin. Nun stellt euch vor, ich müßte in allen Fä- chern und Unterrichtsstunden singen! In Latein, Mathematik, Geschichte und so, — es ist gar nicht auszudenken.“ Dienstag rief: „Ohne Gesang wirst du in Latein und Mathematik auch nicht viel besser sein!“
    „Stimmt“, sagte Gustav. „Also bitte schön, meinetwegen können wir von jetzt ab die unregelmäßigen Verben vierstimmig konjugieren.“
    Justizrat Faberland lachte. „Die pädagogische Provinz, die Goethe in den ‚Wanderjahren’ beschreibt, ist das humanistische Wunschgebilde eines sehr alten und sehr großen Dichters. Spä- ter werdet ihr es besser verstehen.“
    „So schwer verständlich ist das alles gar nicht“, erklärte der Professor. „Hört einmal zu!“ Und er las: „Wohlgeborene, gesunde Kinder bringen viel mit; die Natur hat jedem alles gegeben, was er für Zeit und Dauer nötig hätte. Dieses zu entwickeln ist unsere Pflicht, öfter entwickelt sich’s besser von selbst.“ Er klappte das Buch zu und sah seine Freunde an. „Da habt ihr’s!“
    „Was haben wir?“ fragte Gustav. „Wohlgeborene, gesunde Kinder sind wir alle, die wir hier sitzen. Und was weiter ?“ Der Professor tippte mit dem Zeigefinger auf das Buch:
    „Goethe meint…“
    „Von Goethe meint“, berichtigte Dienstag.
    „Goethe meint, daß wir von Natur aus, sozusagen noch verborgen, schon alles besitzen, was wir fürs Leben brauchen. Es kann sich, meint Goethe, ganz von selber entwickeln. Es muß nicht dauernd jemand an uns herumdoktern. Mit Vorschriften und Aufsicht und Zensurverteilen.“ Er blickte zu seinem Vater hinüber. „Du weißt genau, daß ich nicht dich damit meine, alter Herr. Aber viele Eltern und Lehrer packen es grundfalsch an.“
    „Es ist verteufelt schwer“, sagte der Justizrat, „Kinder nicht zu sehr, aber auch nicht zu wenig zu erziehen. Und bei jedem Kind liegt der Fall anders. Das eine entwickelt seine angeborenen Fähigkeiten mühelos. Und bei dem andern muß man sie mit der Beißzange herausholen, sonst kämen sie nie ans Licht.“ Er setzte sich. „Ihr werdet’s schon noch erleben, wenn ihr später einmal selbst Väter sein werdet.“
    „Darauf freue ich mich schon heute“, meinte Emil.
    „Na“, rief der Justizrat, „manchmal kann man dabei auch graue Haare kriegen!“ Er blickte zu seinem Sohn hinüber. „Du weißt genau, daß ich nicht dich damit meine, mein Junge.“
    „Das mit dem ,Sichselberentwickeln‘ leuchtet mir ein“, erklärte Gustav. „Ich könnte bestimmt ohne Diktate, Nachsitzen und Zensuren ein ebenso guter Autorennfahrer werden. Nein, ein noch viel besserer. Weil ich dann mehr Zeit zum Trainieren hätte.“
    „Meine sehr geehrten Herren“, sagte der Justizrat lächelnd,
    „wollt ihr euch also einmal ein paar Tage von selber und ungestört entwickeln? Das könnt ihr haben. Ich ging vorhin am Reisebüro vorbei und las, daß übermorgen eine mehrtägige Reise nach Kopenhagen beginnt. Nun, ich war lange nicht mehr in Kopenhagen. Und in Klampenborg und in Marienlyst auch nicht. Ich habe Sehnsucht nach Dänemark und schlage vor, daß meine Frau und ich, Emils Großmutter, unsere Klotilde und Pony Hütchen übermorgen von Warnemünde aus mit dem Trajekt nach Norden abdampfen.“
    „Und wir?“ fragte der Professor.
    „Ihr Jungens bleibt allein in Korlsbüttel. Mittagessen könnt ihr im Gasthof. Geld lasse ich euch da, falls ihr das nicht schon als einen zu großen Eingriff in eure Entwicklung anseht.“
    „Wir sind nicht kleinlich“, meinte Gustav. „Das Geld nehmen wir.“
    „Aber um alles andre müßt ihr euch selber kümmern“, meinte der Justizrat. „Da habt ihr reichlich Gelegenheit, euch nach Herzenslust zu entwickeln. Da seid ihr nur euch selber verantwortlich und könnt sehen, ob das ein Vergnügen oder eine Last ist. Einverstanden?“
    Die Jungen waren begeistert.
    Der Professor trat zu dem Justizrat und fragte stolz: „Gibt es einen besseren Vater als meinen?“
    „Nein!“ brüllten sie.

    Der kleine Dienstag hob die Hand wie in der Schule und bat:
    „Herr Justizrat, können Sie meine Eltern nicht auch mitnehmen?“
    Am Nachmittag regnete es noch immer. Als sie beim Kaffee saßen, tauchte

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