Emily, allein
in Halbfingerhandschuhen und lächerlich engen Rennfahrershorts kostümiert, vor die Tür, schnallte seinen schildkrötenförmigen Helm fest und machte allein eine Radtour, wobei er vor dem Losfahren und bei seiner Rückkehr jeweils kurz hielt, um mit Emily durch den Zaun zu plaudern. Es ging um nichts Wichtiges, er machte bloß Floskeln übers Wetter oder Anmerkungen zu laufenden Ereignissen wie dem Tunnelbau zum North Shore, und Emily hätte ihm am liebsten gesagt, sie verstehe zwar, dass er sich verpflichtet fühle, mit ihr zu sprechen, und vermutlich glaube, er erweise ihr eine Gefälligkeit, doch im Augenblick wäre sie froh, nicht mit ihm reden zu müssen, danke. Stattdessen arbeitete sie einfach weiter und hoffte insgeheim, er würde ihren anhaltenden Fleiß als mangelndes Interesse auslegen, doch er war ein Mann und Akademiker, und mehr als einmal musste sie sich entschuldigen und vor ihm in die Küche flüchten.
Emily fand es seltsam, dass ihn Marcia auf seinen Radtouren nicht begleitete und er nie mit ihr morgens joggte, und sie fragte sich, ob die allein ausgeübten Freizeitbeschäftigungen der beiden zusammen mit dem Anblick der mondbeschienenen Marcia den allmählichen Zerfall ihrer Ehe ankündigten. Sie waren ein seltsames Paar - da pflichtete ihr Betty im Gegensatz zu Arlene bei -, und plötzlich begann Emily, statt den beiden wie gewöhnlich keine Beachtung zu schenken, auf Anzeichen eines Zerwürfnisses zu achten. Jedes Mal, wenn einer von beiden erschien - um die Blumenkästen zu gießen oder für Buster eine Untertasse rauszustellen -, las sie in ihren Gesichtern, als wären sie Figuren aus einem unheilschwangeren französischen Film. Marcia war trotz all ihres Schnaufens und Keuchens immer noch pummelig. Jim wirkte eher hager, sein Gesicht verhärmt, der Hals sehnig. Während Emily ihr Abendessen zu sich nahm, spähte sie zu den beiden hinüber, die auf ihrer Veranda saßen, Marcia ein Glas Wein trinkend, Jim mit einem alkoholfreien Bier, und fragte sich, ob die beiden schicksalsergeben und zivilisiert über ihre unüberwindlichen Differenzen sprachen.
Mehr als die Coles oder die Behindertenolympiade lenkte sie ihre eigene Zwanghaftigkeit ab, weil sie ihr Arbeiten auferlegte, die sie aufgeschoben hatte. Beim Subaru stand dringend ein Ölwechsel an. Der musste unbedingt vor Chautauqua durchgeführt werden. Sie musste Hundekuchen, eine Zitrone und Milch kaufen, das hatte sie vergessen, auf die Liste zu schreiben. Sie wollte noch mal bei der Stadt anrufen, um herauszufinden, was es mit dem Gehsteig auf sich hatte. Sie musste einen Klempner kommen lassen, der sich mal den Wasserhahn in ihrem Bad ansah. Und sie hatte immer noch nicht die Gräber von Henry und ihren Eltern besucht.
Arlene machte inzwischen viel Aufhebens um das Arts Festival, das am Wochenende eröffnet wurde. Beiden gefiel die Veranstaltung trotz der großen räumlichen Ausdehnung und der Unannehmlichkeit, in der Innenstadt parken zu müssen. Es war das einzige Mal im Jahr, dass sie es auf die Landspitze schafften, die wie ein Bug in den Zusammenfluss von Mon und Allegheny ragte und stets beeindruckend war. Keine von beiden interessierte sich für das Jahrmarktsessen oder die laute Musik, die jüngere Leute anziehen sollten. Ihnen bereitete es Vergnügen, den Hauptweg entlangzuschlendern, die Zelte zu besuchen und sich die Arbeiten der Künstler anzusehen, von denen manche außergewöhnlich gut waren, andere hingegen so haarsträubend, dass sie sich jeglicher Erklärung widersetzten. Auf der Heimfahrt machten sie sich gern einen Spaß daraus, ihre Lieblingsscheußlichkeit auszuwählen und sich gegenseitig damit aufzuziehen, dass sie am nächsten Tag noch mal hinfahren und das schreckliche Ding irgendwem als Weihnachtsgeschenk kaufen würden.
«Stell dir mal ihr Gesicht vor!»
«Was würde sie damit anfangen?»
Emily konnte Arlene nicht ständig vertrösten. Am besten, sie sah sich die Wettervorhersage an und entschied sich für einen Tag, an dem das Wetter ungewiss war. Für Donnerstag waren vereinzelte Gewitter gemeldet.
«Am Freitag soll es schöner werden», sagte Arlene.
«Angeblich nur dreißig Prozent Regenwahrscheinlichkeit. Da dürften wir Glück haben.»
Es ärgerte sie, in diese Lage geraten zu sein. Sie kam sich kleinlich und berechnend vor, obwohl sie doch bloß die Augen schließen und ihr Gesicht der Sonne zuwenden wollte. Es erinnerte sie an die Nachmittage, an denen ihre Mutter sie in ihr Zimmer verbannt hatte,
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