Emily und der Playboy-Prinz
Ballerina, wirbelte sie lachend herum und sang: „Eines Tages wird mein Prinz kommen und mich holen.“
Was jetzt noch fehlt, sind ein Paar Daumenschrauben und Somewhere Over the Rainbow als musikalische Endlosschleife! dachte Luis entnervt und versank fast in seinem steifen Hemdkragen, während er wohl zum hundertsten Mal auf seine Armbanduhr schaute.
Seufzend versuchte er, seine langen Beine zu sortieren und eine bequemere Sitzhaltung auf dem viel zu kleinen Plastikstuhl einzunehmen. Neben ihm lächelte Tomás wohlwollend, während etwa fünfzig kleine Mädchen auf die Bühne tippelten. Plötzlich erinnerte Luis sich daran, dass sein Assistent eine Tochter im gleichen Alter hatte.
Das ist es, was Elternschaft aus ganz normalen, intelligenten Erwachsenen macht, dachte Luis zynisch, grinsende Dummköpfe mit verschleiertem Blick.
Selbst sein eigener Bruder, einstmals die personifizierte Vernunft, war dagegen nicht immun gewesen. Seit der Sekunde, in der seine Tochter Luciana das Licht der Welt erblickte hatte, analysierte Rico jedes Gähnen, Lächeln und jeden Laut mit einem Interesse und einer Hingabe, die Luis absolut nicht nachvollziehen konnte.
Und daran hatte sich selbst jetzt nichts geändert.
Unversehens stieg wieder das erstickende Schuldgefühl in ihm auf, das er bereits kannte und das ihm dennoch jedes Mal wieder den Atem nahm. Tomás warf ihm einen fragenden Seitenblick zu, und Luis rang sich ein Lächeln ab. Doch während er den Blick fest auf die Bühne gerichtet hielt, sah er vor seinem inneren Auge Lucianas schmales Gesichtchen.
Wie alt mochte sie inzwischen sein?
Wieder überrollte ihn dieses vermaledeite Schuldgefühl, weil er es nicht wirklich wusste! Fünf? Oder sechs?
Vor zehn Monaten waren Christiana und Rico gestorben. Und beim Tod ihrer Eltern war Luciana auf jeden Fall fünf gewesen. Das wusste er aus den Zeitungen, die sich lang und breit über die Tragödie ausließen, in diesem zarten Alter bereits Vollwaise zu sein.
Luis ballte die Hände zu Fäusten. Hatte seine Nichte in der Zwischenzeit Geburtstag gehabt oder nicht?
Die Vorstellung auf der Bühne schien sich langsam dem Ende zuzuneigen, denn die Kinder stellten sich in einer Reihe auf, nahmen strahlend den Applaus des Publikums entgegen und vollführten in allen möglichen Varianten eine Art Hofknicks, der offenbar ihm galt.
„Ist es endlich vorbei?“, zischte Luis seinem Assistenten zu.
„Ich fürchte, noch nicht ganz, Sir. Es gibt noch einen weiteren Programmpunkt. Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Sir?“, fügte Tomás mit einer Spur Besorgnis hinzu.
„Ich habe mich nie besser gefühlt“, knurrte Luis.
Unbehaglich lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, während eine ganze Schar Mini-Ballerinen in weißen Tutus die Bühne erstürmte. Offensichtlich waren sie noch jünger als die vorherige Truppe und sichtlich mehr eingeschüchtert durch die Präsenz des Publikums.
Hinter Luis ertönte ein kollektives „Aaaah“, als die Winzlinge sich in Position brachten und die Menschenmasse hinter den Scheinwerfern aus großen runden Augen betrachteten.
Erste Musiktöne erklangen – der Tanz der kleinen Schwäne .
Luis wusste nicht, ob er dieses vorhersehbare Klischee mit einem Schmunzeln ertragen oder über die zu erwartende Tortur heulen sollte. Also setzte er eine Miene auf, die, wie er hoffte, höfliche Aufmerksamkeit bezeugte, und sah zu, wie die Kinder die Ärmchen reckten und die Knie in sorgfältigen Pliés beugten.
Ein zartes, kleines Ding im Hintergrund stand da wie eingefroren, während sich ihre Mittänzerinnen auf die Spitzen hoben und wackelige Pirouetten vollführten. Ein offensichtlich robusteres Mädchen neben ihr knuffte es unsanft in die Rippen. Das Publikum lachte leise.
Wider Willen fühlte sich Luis von der elfengleichen Tänzerin angezogen. Wahrscheinlich, weil er gerade an seine Nichte gedacht hatte. Irgendwie erinnerte ihn die Kleine auch an Luciana, obwohl sie ihr kein bisschen ähnlich sah. Er beobachtete sie voller Neugier. Ein Psychologe hätte unter Garantie seine helle Freude an mir! dachte er zynisch. Wahrscheinlich war seine Rührung nur ein weiterer Ausdruck der altbekannten Schuldgefühle.
Das Kind auf der Bühne hatte sich immer mehr in den Hintergrund zurückgezogen, sodass es inzwischen außerhalb der Scheinwerferkegel stand. Trotzdem sah er von seinem Logenplatz in der ersten Reihe aus helle Tränen in seinen Augen glitzern. Und das Zittern der zarten Unterlippe.
Und plötzlich
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