Ende (German Edition)
von einem wilden Tier angegriffen wird. Ich habe mal eine Reportage über Leute gesehen, die einen solchen Angriff überlebt haben. Manche wurden schwer verletzt, aber alle haben gesagt, sie hätten keine Angst gehabt, es sei etwas ganz Natürliches gewesen.»
«Sagst du das, um mich zu trösten?»
«Ich sage das, damit du es weißt.»
«Und ich sage dir», beginnt María zögernd, «dass ich trotzdem nicht vergessen kann, wie die arme Amparo gestorben ist. Und dass wir nicht mal versucht haben, sie zu retten.»
«Ich hab dir doch gesagt, dass …»
«Ja, ja! Aber wir hätten schreien können! Oder Steine werfen! Was weiß ich!»
«María. Sie war schon tot, als …» Ginés verstummt, weil er ein Stöhnen oder Schluchzen hört. Trotz der Dunkelheit kann er erkennen, wie María sich die Hände vors Gesicht schlägt.
«María, was ist los? Wir haben doch darüber geredet …»
«Nenn mich nicht María!»
«Warum nicht?»
«Weil ich nicht María heiße!»
«Wie dann?»
«Eva. María ist mein Künstlername. Ist das nicht ein Witz? Ich werde nie wieder als Hostess arbeiten, nie wieder. Du hast mich aus dem Dreck geholt. Sagt man doch so, oder? Was ist?»
Ginés hat sich auf die Ellenbogen gestützt und starrt sie an.
«Und ich heiße eigentlich Adam. Ginés ist mein zweiter Vorname. Den benutze ich nur, weil …»
«Im Ernst?»
«Nein, war nur ein Scherz», sagt Ginés und lässt sich zurück auf die Matratze sinken. «Adam und Eva, fand ich eben witzig.»
«Ja, sehr witzig. Hältst du das für den richtigen Zeitpunkt, um Scherze zu machen? Vor nicht mal einer Stunde mussten wir mit ansehen, wie …»
«Tut mir leid. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat. Es ist mir so rausgerutscht.»
Eva liegt reglos da. Wenn sie sich nicht bewegt, verschwimmt ihr Umriss, lässt sich ihr Gesichtsausdruck nicht einmal mehr erahnen. Aber ihre gespannte Ruhe verrät die unterdrückte Wut. Als sie zu sprechen beginnt, bestätigt ihre Stimme diesen Eindruck.
«Und du? Wer bist du überhaupt? Du hast mir nichts von dir erzählt. Ich weiß weder, wo du wohnst, noch wo du arbeitest. Was machst du beruflich?»
«Nichts.»
«Was soll das heißen?»
«Das, was ich sage: nichts. Manchmal helfe ich einem Freund in seinem Laden, aber ich arbeite nicht für Geld.»
«Dann bist du reich, oder was? Multimillionär?»
«Nein, ich habe etwas Geld angelegt und lebe von den Zinsen. Ist nicht viel, aber ich komme zurecht.»
«Du kommst zurecht? Und von wem hast du das Geld? Von deinen Eltern?»
«Nein! Meine Eltern waren einfache Arbeiter, ganz normale Leute.»
«Dann erklär’s mir endlich, verdammt! Wozu diese Geheimniskrämerei? Ist doch eh schon scheißegal.»
«Ich war der Assistent … Lange Jahre war ich der persönliche Sekretär einer mächtigen Person.»
«Von einem Promi?»
«Nein, kein Promi. Von einem einflussreichen Geschäftsmann. Wer wirklich Macht hat, lebt lieber im Verborgenen.»
«Und du hast mit ihm gevögelt.»
«Immer dieses Thema! Für dich reduziert sich offenbar alles auf das Eine.»
«Also hast du mit ihm gevögelt.»
«Er war schon älter. Und er hat mich immer gut behandelt. Ich habe ihn sehr gemocht. Er stand mir näher als mein eigener Vater.»
«Und er hat dir sein ganzen Vermögen hinterlassen.»
«Nein, er war ja nicht blöd! Hast du Der große Gatsby gelesen? Seine Frau und seine Kinder hätten mich fertiggemacht. Auf juristischem Wege, versteht sich. Nein, vererbt hat er mir nichts, aber zu Lebzeiten hat er mir große Geldgeschenke gemacht.»
«Dann hat er dir sehr vertraut.»
«Das war eine seiner Qualitäten, ja, vielleicht sogar die herausragende. Jedenfalls hat es ihm bei seinen Geschäften genützt. Er hat die Menschen auf den ersten Blick durchschaut. Und er hat sich nie getäuscht.»
«Ich sehe schon: Du warst in ihn verliebt.»
«Ich habe dir gesagt, dass ich ihn sehr mochte.»
«Und du hattest nie eine Freundin?»
«Doch, die eine oder andere schon. Das Problem ist nicht, ob Mann oder Frau, das Problem ist, jemanden zu finden … Das Problem bin ich.»
«Warum hast du mich angerufen? Warum hast du mich engagiert?»
«Ich weiß nicht. Vermutlich aus dem gleichen Grund, warum andere Leute dich engagieren: um sich nicht rechtfertigen zu müssen.»
«Aber das waren doch deine Freunde. Wieso musstest du dich vor ihnen rechtfertigen?»
«Freunde … Du hast uns ja gesehen: Würdest du immer noch von Freunden sprechen?»
«Du liebst niemanden.
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