Ende (German Edition)
Lass uns schlafen. Ich bin auch müde. Man darf von niemandem verlangen, was er nicht geben kann.»
«Verzeih mir.»
«Schon gut.»
«Wenn du möchtest, nehme ich dich in den Arm.»
«Bei der Hitze?»
Stille. Stille, die einige Sekunden andauert. Dann tastet sich eine Hand über die Matratze, stößt gegen etwas, hält inne. Die Luft im Zimmer ist stickig, wie von Gespenstern bewohnt. Licht und transparent ist es nur am Fenster, in dem scharf umrissenen, blau schimmernden Rechteck, in dem die Sterne funkeln wie stechende Nadeln.
E s werden immer mehr Autos», sagt Ginés.
Die Landstraße nähert sich der Autobahn, die in die Stadt hineinführt. Zwei oder drei Fahrzeuge hintereinander sind keine Seltenheit. Doch Eva und Ginés haben das Interesse an den Autos längst verloren. Es sind so viele. Sie beschränken sich darauf, einen kurzen Blick ins Wageninnere zu werfen, steigen dafür nicht einmal vom Rad. Es ist immer wieder dasselbe: Die Insassen sind verschwunden, der Zündschlüssel steckt, die Gurte sind angelegt. Geändert hat sich nur, dass sich die schweren Unfälle häufen, weil die Fahrzeuge im Moment des Stromausfalls mit höherer Geschwindigkeit unterwegs waren. Die Landstraße ist in eine Schnellstraße mit breiter Standspur und Leitplanken auf beiden Seiten übergegangen.
«Wenn die Autobahn kommt, wird es garantiert noch schlimmer», vermutet Ginés. «Gut, dass wir die Fahrräder haben.»
Hinter einem hässlichen Berg, an dessen Fuß eine noch hässlichere Zementfabrik steht, ist eben die Sonne aufgegangen. Der Betrieb hat die Landschaft verschandelt, hat sie mit einem aschenen Ton wie Vogelscheiße überzogen. Der Steinbruch hat sich in den Berg gefressen und dabei das mineralische, gelblich glänzende Gestein freigelegt. Eva und Ginés radeln gegen die Sonne auf die Zementfabrik zu.
Die Straße führt leicht bergab, hinein in eine ausgetrocknete Flussebene, in der sich ein Industriebetrieb an den anderen reiht. Der Knotenpunkt zwischen Stadt und Provinz ist durchzogen von einem Gewirr aus Straßen auf unterschiedlichen Levels. Ginés und Eva lassen ihre Räder rollen.
«Ich habe meine Sonnenbrille in der Herberge vergessen», sagt Ginés, der seine Hand an die Stirn hält, weil ihnen nach der Kurve die Sonne direkt ins Gesicht scheint.
«Vorsicht, Auto!»
Im Gegensatz zu Ginés trägt Eva eine Sonnenbrille. Sie hat befürchtet, dass er das gelb funkelnde Auto auf der Standspur nicht gesehen hat.
«Ich hab’s gesehen. Im letzten Moment, aber ich hab’s gesehen.»
Die beiden Radfahrer wechseln die Straßenseite und fahren jetzt auf dem linken Standstreifen. Das ist der einzige Vorteil dieser unheimlichen Situation: dass sie sich nach Lust und Laune auf der ganzen Fahrbahn bewegen können. Sie haben die Kurve hinter sich gelassen, als Ginés eine kleine Straße auffällt, die etwas tiefer verläuft, rund hundert Meter entfernt. Sie macht eine scharfe Biegung auf eine Brücke zu, die über einen Bach führt. Der Bach wiederum ist ein Stück weiter unten kanalisiert und fließt unter der Straße hindurch, auf der sie gerade fahren. Am Fuß des Hangs, gleich neben der Brücke, bemerkt Ginés ein graues Etwas, das ihm nicht aufgefallen wäre, hätte die Morgensonne sich nicht auf seiner metallenen Oberfläche gespiegelt. Kurz darauf blendet die Reflexion nicht mehr, und sie können erkennen, was es ist: wieder ein Auto, ein dunkelgraues Auto, dessen Front in ihre Richtung zeigt. Die Windschutzscheibe ist gesplittert, wirkt wie Mattglas und verwehrt den Blick ins Innere.
«Schau mal das Auto da», sagt Ginés.
«Das ist wohl von der Fahrbahn geschleudert worden. Wahrscheinlich ist der Strom mitten in der Kurve ausgefallen.»
Sie fahren weiter. Eva hat den Blick wieder nach vorne gerichtet, aber Ginés sieht nach wie vor zu dem Auto, dessen Seite jetzt ins Blickfeld kommt.
«Warte!», ruft er plötzlich, bremst und stellt einen Fuß ab. Eva schaut sich zu ihm um, bremst ebenfalls und bleibt einige Meter entfernt stehen.
«Was ist?»
Ginés antwortet nicht sofort. Ohne zu blinzeln, starrt er zu dem Auto.
«Da ist was.»
Eva will etwas erwidern, aber dann schiebt sie die Sonnenbrille über die Stirn und sieht genauer hin. Am Lenkrad scheint leicht vornübergebeugt ein Mensch zu sitzen.
Der Fall unterscheidet sich von all den anderen Fällen zuvor. Bisher hat die Form der Kopfstützen oder eine über der Lehne hängende Jacke nur die Illusion erzeugt, es könnte sich um einen Menschen
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