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Ende (German Edition)

Ende (German Edition)

Titel: Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Monteagudo
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handeln. Eva wendet und fährt zurück zu Ginés. Von dort verstärkt sich der Eindruck, dass es tatsächlich ein Mensch ist: Das helle Gesicht hebt sich erkennbar von der dunklen Kleidung ab.
    «Wir müssen nachschauen», sagt Ginés.
    Sie legen die Räder ab, klettern über die Leitplanke und bleiben auf der anderen Seite unschlüssig stehen. Es besteht jetzt kein Zweifel mehr: Es ist ein Mensch oder eine menschenähnliche Puppe. Schweigend steigt das Paar den Hang hinunter. Die Böschung ist lang und steil, besteht aus weicher, mit spärlichem Gras überzogener Erde. Die Absätze sinken ein, die Erde dringt in die Schuhe, aber das kümmert die beiden nicht. Unten ist das Gelände uneben, aber nicht mehr so abschüssig, bewachsen mit Sträuchern und kleinen Steineichen. Die Gestalt in dem Auto sitzt nach wie vor reglos da. Es wird immer deutlicher, dass es sich tatsächlich um einen Menschen handelt. Beunruhigend ist nur, dass der Schädel sehr hell ist, fast glänzt, als hätte er keine Haare.
    «Er ist bestimmt tot», sagt Ginés, der seine Nervosität nicht verhehlen kann. «So lang, wie der hier schon sitzt, kann es gar nicht anders sein.»
    Ein heftiger Knall ertönt. Ginés zuckt zusammen und greift sich instinktiv an den Kopf.
    «Was machst du da? Bist du verrückt geworden?», schreit er, als er sieht, dass Eva die Pistole vom Kopf weghält, um den Rauch nicht abzubekommen.
    «Er ist tatsächlich tot», kommentiert Eva, ohne Ginés anzusehen. «Hat sich keinen Millimeter bewegt.»
    «Ach so, verstehe, aber du hättest mich vorwarnen können. Du hast also nur in die Luft geschossen?»
    «Natürlich.»
    Ginés atmet noch immer heftig, weil ihn der Schuss erschreckt hat. Er hat nicht erwartet, dass Eva die Pistole ziehen würde, bevor sie sich dem Auto nähern, auch wenn es durchaus seine Berechtigung hat. Er hat sie schlicht nicht beachtet, hat nur auf den Wagen gestarrt.
    Sie gehen weiter. Eva löst das Magazin und steckt eine Kugel hinein, die sie aus der Hosentasche geholt hat. Vor zwei Stunden, als sie noch in dem Zimmer waren, hat sie geübt, hat das Magazin gelöst und wieder fixiert, hat durchs Fenster geschossen.
    «Es ist eine Leiche, und das bedeutet …»
    «… dass er tot ist», sagt Eva.
    «Ja, aber wenigstens … Es ist der erste Mensch, den wir finden! Das ist ein gutes Zeichen. Vielleicht sind in der Stadt …»
    Ginés beendet den Satz nicht. Sie haben die kleine Straße erreicht, von der das Auto abgekommen ist, überqueren sie und klettern den Hang hinunter, der wesentlich abschüssiger ist als der eben. Manchmal rutschen sie aus, schlittern ein Stück, müssen sich an den rauen Büscheln festhalten, die hie und da wachsen.
    «Der Kopf ist vollkommen kahl», sagt Ginés. «Nur an den Schläfen sind ein paar Haare. Deshalb sah er von weitem auch so merkwürdig aus.»
    Sie gelangen immer näher an das Auto, es sind nur noch fünfzehn oder zwanzig Meter. Die Sonne scheint durchs Seitenfenster und taucht die Gestalt, die ruhig und gelassen dazusitzen scheint, in Licht, leicht nach vorne gebeugt. Jetzt sieht man auch, dass es sich um einen Mann handelt, einen schlanken, etwas älteren Mann. Sein düsterer, verschwommener Gesichtsausdruck, der durch die perspektivische Verkürzung noch betont wird, lässt weitere Schlussfolgerungen nicht zu.
    «Es ist der erste Mensch, den wir finden, und dieser erste Mensch ist tot.»
    Ginés’ Anspannung entlädt sich in Form von Worten. Eva hingegen schweigt, aber ihr Blick, ihr Gesichtsausdruck, die Art, wie sie die Pistole umklammert, verraten, unter welcher Spannung auch sie steht.
    Mittlerweile sind sie bei dem Auto angelangt. Es ist ein mittelgroßer Viertürer mit Stufenheck, der schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Wie gut er vor dem Unfall erhalten war, ist schwer zu sagen. Jetzt ist er schmutzig und verbeult, die Scheinwerfer und einige Scheiben sind zersplittert, der Rahmen ist verzogen, Plastikteile haben sich gelöst, an mehreren Stellen klebt Gras. Aber immerhin steht der Wagen auf vier Rädern, wenn auch etwas schief.
    «Mein Gott! Das Gesicht!», ruft Ginés und nähert sich vorsichtig dem Seitenfenster. «Er hat ein Hämatom. Furchtbar! Ich dachte schon von weitem, dass da was merkwürdig ist.»
    «Dann war er nicht sofort tot. Wahrscheinlich hat er erst das Bewusstsein verloren.»
    «Woher willst du das wissen?», fragt Ginés gereizt.
    «Ich weiß es nicht, aber das sagt mir die Logik. Wenn jemand tot ist, stoppt der Blutkreislauf.

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