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Ende (German Edition)

Ende (German Edition)

Titel: Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Monteagudo
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ein langes Schweigen, das Ginés schließlich selbst beendet.
    «Wir wissen gar nichts, verdammt!», schreit er wütend und ballt die Fäuste.
    «Lasst uns das Gelände absuchen», fügt er kurz darauf hinzu. «Vielleicht … Was weiß ich, vielleicht finden wir ja doch eine Leiche.»
    Er beginnt den Hang hinunterzugehen, María folgt ihm. Auch Amparo setzt sich in Bewegung, um nicht allein zurückzubleiben. Sie macht kleine, schnelle Schritte, die etwas Serviles haben. Ihr Gesichtsausdruck jedoch straft ihre scheinbare Unterwürfigkeit Lügen: Er ist skeptisch, verächtlich, verdrossen, der Gesichtsausdruck eines Erwachsenen, der Kindern nicht ihre naive Hoffnung rauben will, obwohl er weiß, dass das Leben sie bitter enttäuschen wird.

E ine Stunde später steht die Sonne knapp über dem Horizont, taucht die Berge erst in einen warmen Goldton, der langsam zu einem kalten Orange zu erlöschen beginnt. Die Straße führt zum größten Teil durch einen dunklen Wald. Das Licht reicht selten bis zum Boden, und wenn, fällt es schräg ein, blendet, wirft den Schatten der drei Radfahrer meterlang auf den Asphalt. Solange es bergauf geht, ist ihnen noch heiß, aber als es bergab geht, spüren sie zum ersten Mal den kühlen Fahrtwind.
    Gerade befinden sie sich in einer langen, im Schatten von Pinien liegenden Kurve. Nur die Wipfel leuchten noch, als wären sie mit einem wässrigen Orange bemalt. Plötzlich beginnt María zu reden, als nähme sie ein kürzlich unterbrochenes Gespräch wieder auf, eine zwanghafte Idee.
    «Alle verschwunden. Im Moment des Stromausfalls. Wir haben gesucht wie verrückt. Bescheuert. Hier ist keiner mehr. Kein Mensch.»
    Ihr Monolog scheint beendet. Aber dann reagiert Ginés, eher lustlos, als wäre es seine lästige, aber notwendige Pflicht, die Argumente seiner Freundin zu entkräften.
    «Wir drei sind noch hier. Es kann nicht sein, dass wir die einzigen Menschen sind. Es muss noch andere geben.»
    «Unsinn! Das war ein Riesenflugzeug, in zehntausend Metern Höhe, tausend Stundenkilometer schnell. Und alle Passagiere waren tot … oder verschwunden.»
    «Wir wissen nicht, wie groß der Radius ist. Du hast es selbst gesagt: zehntausend Meter Höhe.»
    «Denk mal nach! Wir haben mindestens hundert Kilometer zurückgelegt.»
    «Es kann einfach nicht sein, dass wir ganz allein sind. Es muss noch jemanden geben, und sei es auf der anderen Seite der Welt.»
    «Wir wissen nicht mal, ob wir es bis zur Hauptstadt schaffen. Oder bis ans Meer. Und du redest von Australien! Darf ich dich daran erinnern, dass wir mal acht Leute waren.»
    «Neun.»
    «Von mir aus auch neun. Aber jetzt sind wir nur noch zu dritt.»
    «Es ist schon lang keiner mehr verschwunden. Vielleicht …»
    María verstummt. Auch Ginés hat keine Lust, den Satz zu beenden. Die Straße führt wieder bergauf, die drei Radfahrer konzentrieren sich darauf, die nächste Kuppe zu erreichen. Amparo hat sich nicht an dem Gespräch beteiligt und still in die Pedale getreten. Als sie auf der Anhöhe ankommen, sagt sie plötzlich:
    «Haltet mal an. Ich muss dringend pinkeln, und hier ist eine gute Stelle, bevor es wieder bergab geht.»
    Tatsächlich liegt vor ihnen eine längere Abfahrt, deren Ende nicht abzusehen ist.
    María und Ginés halten zwei Meter weiter an, gleiten vom Sattel.
    «Nicht umdrehen», sagt Amparo, steigt ab und legt ihr Rad auf den Boden. «Ich will nicht, dass ihr mir beim Pinkeln zuschaut.»
    María und Ginés blicken ostentativ nach links. Ohne das Geräusch der Räder herrscht fast absolute Stille. Nur ihr Atmen ist zu hören, vereinzelt eine Grille, und Amparos tastende Schritte im Gras.
    Die Böschung wird nach oben hin steiler und führt auf eine kleine, mit hartem gelblichem Gras bewachsene Lichtung. Amparo bleibt stehen, María und Ginés halten gespannt die Luft an, horchen. Amparo macht einen Schritt nach hinten, zieht den Reißverschluss auf, dann plätschert es.
    «Es ist keiner mehr da», jammert María wieder. «Alle sind verschwunden, und zwar gleich am Anfang. Alle. Und wir suchen …»
    «Bald sind wir in der Stadt», sagt Ginés, der wie María zu den Pinien auf der anderen Straßenseite schaut. «Solange wir dort nicht gesucht haben, geben wir nicht auf.»
    «Ja, in der Stadt, vielleicht finden wir da …»
    María verstummt. Sie hat ein Stöhnen gehört, hinter ihrem Rücken. Auch Ginés hat es gehört. Es klingt erstickt, als würde sich jemand anstrengen. Aber es hat auch etwas Rasselndes,

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