Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ende (German Edition)

Ende (German Edition)

Titel: Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Monteagudo
Vom Netzwerk:
Offensichtlich sieht er nicht Hugo an, sondern Amparo oder Ginés. Plötzlich dreht er sich um und rennt weg, verschwindet in einer der Gassen.
    «He, Hundchen!», ruft Nieves und pfeift ihm mehrmals nach. «Was hast du ihm getan?», schnauzt sie Hugo an. «Hast du ihn etwa mit der Zigarette verbrannt?»
    «Ich? Einen Scheiß hab ich!», wehrt sich Hugo. «Blöder Köter! Wahrscheinlich hat er was gewittert. Ich hab’s: Er hat gewittert, dass du dir einen Bikini anziehen willst.»
    Er kichert.
    «Der kommt schon wieder», versucht Ginés missmutig zu schlichten. «Und du pass auf, was du sagst. Sonst nehmen wir dir die Flasche weg.»
    «Ach ja?», kontert Hugo, zieht das Ja spöttisch in die Länge.
    Er will noch etwas hinzufügen, aber Maribel schneidet ihm das Wort ab:
    «Aus dem Brunnen kommt Wasser!», ruft sie und hält eine staubige Tasse in den klaren Strahl.
    «Der wird bestimmt direkt aus der Quelle gespeist», vermutet Nieves.
    «Dann sind wenigsten die Quellen nicht …»
    Ginés verstummt, als er sieht, dass Amparo mit den Händen fuchtelt.
    «Nicht bewegen», flüstert sie. «Da ist was.»
    «Wo?»
    Amparo weist mit dem Kopf zum tieferen Teil des Platzes. Ginés und María drehen sich um, sehen aber nichts, nur Zement, im Schatten liegende Mauern, einen Halbbogen, durch den man in eine überdachte Gasse gelangt.
    Die anderen aus der Gruppe haben Amparo nicht gehört, aber die plötzliche Stille, die reglose, gespannte Erwartung weckt ihre Aufmerksamkeit. Maribel hört auf zu pumpen, sodass das Wasser schnell versiegt; Hugo erhebt sich von seinem Stuhl. Dann plötzlich sehen alle, worauf Amparo zeigt, starren zum tiefer gelegenen Teil des Platzes, zu der massigen Gestalt, die unter dem Bogen steht, reglos, aufrecht, im Gegenlicht.
    «Da ist jemand, oder?»
    «Ja, scheint so.»
    «Diesmal kannst du uns nicht als hysterisch abtun.»
    «Noch hat er sich nicht bewegt.»
    «Muss unglaublich groß sein, oder?»
    Aus der Entfernung ist nur schwer einzuschätzen, wie groß die Gestalt tatsächlich ist. Nur der Umriss ist zu sehen, nicht die Gesichtszüge, nicht die Gliedmaßen. Außerdem verzerrt Angst die Wahrnehmung. Fest steht nur, dass die Gestalt groß ist: vielleicht ein korpulenter Mann. Aber er er rührt sich nicht, was Zweifel weckt, ob es sich überhaupt um einen Menschen handelt.
    «Vielleicht ist es eine Statue.»
    «Mitten auf der Straße?»
    «Das ist doch lächerlich! Die ganze Zeit wünschen wir uns nichts sehnlicher, als endlich einem anderen Menschen zu begegnen. Und jetzt, wo wir einen entdeckt haben, trauen wir uns nicht, ihn anzusprechen. Los, worauf wartet ihr?»
    «Aber er bewegt sich nicht.»
    «Hallo! Guten Tag!»
    «Da, jetzt hat er sich bewegt!»
    «Was ist das? Hat er eine Mütze auf?»
    «Hallo! Hören Sie?», ruft Maria.
    Sie bringt als Einzige den Mut auf, die geheimnisvolle Gestalt anzusprechen. Den anderen, Hugo und Ginés eingeschlossen, ist das Lachen vergangen. Sie stehen nur da, passiv, feige, gelähmt, in ängstlicher Erwartung einer Reaktion. Die Reaktion folgt prompt. Als María sich in Bewegung setzt, krümmt sich die schwarze Gestalt zu etwas Rundem zusammen, das unruhig tänzelt und mit kraftvollen Bewegungen davonrennt. Das dunkle Fell ist der Beleg, dass es sich um ein Tier handelt, was noch deutlicher wird, als es den schattigen Bereich verlässt und einige Sekunden lang gut zu sehen ist: die runden Ohren, der kurze, eng anliegende Schwanz, der tapsige, aber energische Gang.
    «Ein Bär! Das war ein Bär!»
    «Er hatte sich aufgerichtet.»
    «Ein Bär? Was hat denn ein Bär hier zu suchen?»
    «Keine Ahnung.»
    «Die werden heutzutage bewusst ausgesetzt, damit sie wieder heimisch werden.»
    «In der Cordillera vielleicht, aber doch nicht hier!»
    «Deshalb ist der Hund abgehauen.»
    «Wie viele sind wir? Und wie viele waren wir?»
    Nieves ist sichtlich erregt, starrt die anderen mit weit aufgerissenen Augen an, zuckt mit dem Kopf, was ihr etwas Hühnerhaftes verleiht.
    «Beruhig dich», redet Ginés ihr zu. «Wir sind alle noch da.»
    «Wie viele waren wir?», fragt Nieves noch verstörter. «Ich kann mich nicht erinnern, wie viele wir waren!»
    Die anderen sehen sie erschrocken an. Sie haben sich von Nieves’ Angst anstecken lassen, zählen sich gegenseitig. Nur Hugo scheint das alles nicht zu interessieren: Gekrümmt steht er da, hält sich eine Hand vor die Augen, wirkt nachdenklich.
    «Nieves … Nieves, ganz ruhig, es sind alle da», beschwichtigt sie Ginés

Weitere Kostenlose Bücher