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Ende (German Edition)

Ende (German Edition)

Titel: Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Monteagudo
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Rathaus und einem Sportverein, mehr nicht. Stattdessen dringen sie tiefer in das Gassengewirr der Altstadt ein, wo die Einsamkeit immer spürbarer wird, immer bedrückender. Dort sind auch keine Autos mehr, keine Bürgersteige. Der Asphalt reicht bis zu den schwärzlichen Wänden der schiefen, mehrstöckigen Häuser, deren Türen sich zu dunklen, leicht modrig riechenden Fluren öffnen. Je weiter sie sich auf den kühlen, schattigen Gassen dem Zentrum nähern, desto mulmiger wird ihnen. Gelegentlich werfen sie einen kurzen Blick in einen Hausflur oder nach oben, zu dem zwischen Dachvorsprüngen eingezwängten Himmel. Altersschwach neigen sich die Gebäude aufeinander zu, als suchten sie gegenseitig Halt.
    Trotz allem hat das Gewirr aus Gassen und kleinen Plätzen etwas Reizvolles, etwas melancholisch Schönes. Im ältesten Teil des Dorfes, im eigentlichen Kern, wo es besonders steil ist, sind Rillen im Straßenbelag, um den Autos mehr Haftung zu geben. Andererseits sind die Gassen dort so eng, dass kein Auto hindurchzupassen scheint, führen durch Bögen und Tunnel, über den zwei- oder dreistöckige Gebäude aufragen.
    Einen dieser Tunnel durchqueren die sechs Freunde, beschleunigen ihre Schritte, blicken sich ständig um, zählen sich gegenseitig ab. Der Tunnel ist nur zehn Meter lang, aber in der Mitte lassen sich die Gesichter kaum noch erkennen, werden zu Umrissen im Gegenlicht.
    Sie kommen an einem kleinen Platz mit einem mosaikverzierten Brunnen heraus. Der Hund ist ihnen gefolgt, als gehöre er zu ihnen, und steht nun reglos da, mit offenem Maul und hängender Zunge, mit ausdrucksvollen Augen, die nach dem Grund für diesen Halt zu fragen scheinen. Der Platz ist eigentlich eine asymmetrische Kreuzung von vier Gassen, von denen zwei überdacht sind. Er ist leicht abschüssig und groß genug, sodass die Sonne bis fast auf den Asphalt scheint, jedenfalls bis zu der Wand, an deren Fuß sich, rechts, an der höchsten Stelle, der Brunnen befindet.
    «Schaut mal, da sind Stühle!», ruft Maribel und zeigt nach links. Tatsächlich stehen dort fünf Stühle vor einem Haus, dessen Tür offen ist.
    «Seltsam», findet Amparo, «ich hätte hier keine Kinder vermutet.»
    Drei der fünf Stühle sind winzig und aus Bast.
    «Das sind keine Kinderstühle», erklärt Nieves und bückt sich, um dem Hund übers ockerfarbene, fast strohgelbe Fell zu streicheln. «Solche Stühle benutzen ältere Leute, um sich nachts an die frische Luft zu setzen.»
    «Nieves hat recht», pflichtet María ihr bei. «Wer hier wohnt, ist garantiert schon älter.»
    «Außerdem war es ja ein Uhr morgens, als …», sinniert Ginés.
    «Kinderstühlchen», lallt Hugo und zündet sich eine Zigarette an.
    «Und?», fragt Ginés. «Wollen wir reingehen?»
    «Ja, gute Idee», bekräftigt Amparo. «In diesem Scheißkaff gibt es sowieso keinen vernünftigen Klamottenladen, also müssen wir es in den Häusern versuchen. Solange die Sachen frisch gewaschen sind …»
    «Ich weiß nicht, Kleidung von fremden Leuten …» Maribel rümpft die Nase.
    «Kleidung geht ja noch. Aber Schuhe?», findet María.
    «Ich brauche jedenfalls einen Badeanzug», meldet sich Nieves zu Wort.
    «Das Stühlchen», hebt Hugo an, fällt sich dann aber selbst ins Wort, um auf Nieves’ Bemerkung zu reagieren: «Ihr könnt doch nackt ins Wasser springen!»
    «Und du?», will Amparo wissen. «Ziehst du dich dann auch nackt aus? Oder gehörst du zu den Männern, die …»
    «Dich bestimmt nicht», erwidert Hugo etwas zusammenhangslos und fuchtelt sich mit der brennenden Zigarette vor seiner Nase herum. «Dir suche ich persönlich einen Badeanzug, am besten ein Ganzkörpermodell. Bei den anderen hingegen …»
    Weil die anderen nicht reagieren, zeichnet Hugo eine Parabel in die Luft, schielt mit einem boshaften Lächeln zu María und lässt sich dann auf einen der Stühle fallen, der unter seinem Gewicht wankt.
    «Popöchen auf dem Stühlchen», faselt Hugo und streckt die Hand mit der Zigarette in Richtung Hund, aber der entwindet sich seinem Annäherungsversuch und bleibt so stehen, dass Hugo ihn gerade nicht erreichen kann, reglos, den Blick auf etwas gerichtet, das offenbar seine Aufmerksamkeit erregt hat.
    «Komm her!», befiehlt Hugo und beugt sich so weit nach vorne, dass der Stuhl nur noch auf zwei Beinen steht. Tatsächlich schafft er es kurz, den Hund zu streicheln, aber der weicht instinktiv weiter zurück, stellt die Ohren auf und zuckt mit den Nasenflügeln.

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