Ende (German Edition)
verschwindet?»
Niemand antwortet ihr. Die anderen treten einfach weiter in die Pedale, starren ihre eigenen Schatten auf dem Asphalt an, wundern sich, dass schon wieder ein Schweißtropfen zitternd an der Nasenspitze hängt. Aber Nieves lässt nicht locker, presst die Worte zwischen den Atemzügen hervor.
«Das muss sein wie … wie sterben. Man verschwindet und ist tot. Alles geht zu Ende. Ich glaube nicht, dass es wehtut.»
Nieves verstummt, als wolle sie abwarten, ob jemand ihrer Theorie zustimmt. Aber keiner sagt etwas, also ergreift sie wieder keuchend das Wort.
«Tut … Tut bestimmt nicht weh, aber …»
«Halt endlich den Mund!», unterbricht Amparo sie rüde. «Du faselst jetzt schon ein halbe Stunde vor dich hin!»
«Weil … Weil ich nicht verschwinden will! Ich will nicht sterben! Ich versteh nicht, wie ihr … wie ihr so ruhig sein könnt! Entschuldige …»
Nieves ist mit dem Fuß vom Pedal gerutscht, ist leicht ins Schlingern geraten und hat Marías Lenker gestreift. Jetzt spannt sich die Kette wieder stramm, kann Amparo die Spur wieder halten. Ohne sich Nieves zuzuwenden, hebt Amparo das Gesicht, auf dem frische Schweißtropfen über eine bereits getrocknete Schweißschicht rinnen.
«Glaubst du, ich habe keine Angst?», fragt auch sie keuchend. «Trotzdem quatsche ich nicht so blöd daher, sondern halte die Klappe und beiße mich durch. Ich verstehe nicht, wie du gleichzeitig treten und sprechen kannst.»
«Nieves, hör auf, dir den Kopf zu zermartern», versucht Ginés sie zu beruhigen. «Und denk nicht immer das Schlimmste.»
«Was soll ich denn sonst denken? Das hier hört nicht auf, im Gegenteil, es wird immer schlimmer!»
Da sie so schwer atmet, bringt sie die Worte kaum hervor. Ihr Gesicht ist eine einzige rote Fläche, die so erhitzt ist, dass der Schweiß, wenn er aus den Poren tritt, sofort verdampft. Trotz ihrer Leibesfülle hat sie zäh und ausdauernd den beschwerlichen Weg gemeistert. Aber ihr zwanghaftes Plappern setzt ihr zu, außerdem ist sie peinlich darauf bedacht, sich ja keinen Zentimeter von der Gruppe zu entfernen, wodurch sie ständig darauf achten muss, wohin sie fährt. María, die sieht, wie Nieves leidet, versucht ihr zu helfen.
«Keine Sorge», sagt sie mitfühlend, «wir bleiben bei dir.»
«Irgendwann ist es so weit», sagt Nieves störrisch. «Es kann jeden Moment passieren, ganz plötzlich.»
Die perfekte Formation der Gruppe hat sich aufgelöst. Immer wieder streifen die Fahrräder aneinander, was beinahe zu Stürzen führt. Außerdem hat sich die Geschwindigkeit merklich verringert, weil es steiler geworden ist und auf die nächste Kuppe zugeht. Plötzlich hält Ginés, der die Gruppe anführt, abrupt an und stellt einen Fuß ab. Trotzdem fährt niemand in ihn hinein, weil der Anstieg und das geringe Tempo allen genügend Zeit lassen, rechtzeitig zu bremsen. Zusammengedrängt stehen sie da. Mit verständnisvoller, lehrerhafter, aber auch autoritärer Stimme übertönt Ginés das erleichterte oder resignierte Keuchen und Amparos Protest.
«Jetzt hör mal zu, Nieves. Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als weiterzumachen, immer weiterzumachen.»
«Aber ich habe Angst!», wimmert Nieves. «Ich verstehe nicht, wie ihr so tun könnt, als wäre nichts passiert, wie ihr in dieser Situation Scherze machen könnt. Immer wenn wir nicht aufgepasst haben, ist einer von uns verschwunden. Immer wenn wir Spaß hatten!»
«Glaubst du wirklich», fragt María, «dass du nur gut aufpassen musst, und schon ist alles gut?»
Nieves’ betretenes Schweigen spricht Bände.
«Wir wissen nicht, wie das alles vonstattengeht», sagt Ginés sanft, als wollte er die Distanz, die ihnen die Fahrräder aufzwingt, durch die Wärme in seiner Stimme überbrücken. «Wir wissen nicht, warum die Menschen verschwinden. Gar nichts wissen wir. Außer: dass wir nichts ändern, niemanden retten, indem wir uns reinsteigern und ständig den Kopf zermartern. Wir müssen handeln. Und jetzt gilt es erst mal, nach Villallana zu kommen.»
«Aber ich kann nicht anders. Ich denke die ganze Zeit …»
«Dann hör auf zu denken», rät ihr Ginés. «Oder wenn du schon denken musst, dann stell dir vor, dass ab jetzt niemand mehr verschwinden wird. Vielleicht waren Hugo und Maribel die Letzten. Überleg doch mal: Wir kommen immer weiter nach Süden voran. Irgendwann erreichen wir die Hauptstadt, und dann …»
«Und wenn da auch keiner ist? So wie hier! Nur leere Autos, verunglückte
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