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Ende (German Edition)

Ende (German Edition)

Titel: Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Monteagudo
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analysiert das Bewusstsein, was die Augen gesehen haben, und gibt Meldung, dass etwas nicht stimmt.
    «Da war was», sagt Amparo.
    «Stimmt, hab ich auch gesehen», bestätigt Ginés. «Ein Hund oder so.»
    «Kam mir größer vor», wendet Amparo ein.
    «Wir müssen so schnell wie möglich von hier weg», drängt Ginés. «Seht mal, da vorne beginnt die Landstraße!»
    «Das ist die Landstraße?»
    «Sicher doch, die nach Villallana. Ich hab sie am Holzlager erkannt.»
    Ginés tritt in die Pedale, die Frauen tun es ihm nach. Fünfzig Meter weiter geht der Stadtkern in eine Vorstadt über, Industriebauten und einzelne Häuser lösen einander ab. Noch aber befinden sie sich im Zentrum. Rechts reiht sich nach wie vor ein Haus ans andere, bildet eine durchgehende Mauer. Seitenstraßen gibt es nur links, und links vorne taucht jetzt eine Treppe auf, die zu einem erhöhten, mit Autos zugeparkten Platz mit Bäumen führt. Von dort zweigt eine abschüssige Straße ab.
    «Es geht immer schneller», klagt Nieves, ohne mit dem Treten aufzuhören. «Und dann auch noch zwei auf einmal, das hatten wir noch nie. Vielleicht hätten wir lieber in der Herberge bleiben sollen.»
    «Rafa ist in der Herberge verschwunden», bemerkt Ginés.
    «Oder wir hätten uns Richtung Norden durchschlagen sollen.»
    «Im Norden gibt es keine Dörfer, keine Häuser, nichts, nur Berge, Berge, Berge. Wir hätten Tage gebraucht, um die Sierra zu überqueren.»
    «Der Süden bot sich einfach an», fährt Ginés nach einer kleinen Pause fort. «Gute Straßen, größere Dörfer. Und morgen sind wir in der Hauptstadt. Wir haben nur getan, was die Logik diktiert.»
    «Was hast du gesagt?», fragt Nieves.
    Sie hat sich etwas zurückfallen lassen und Ginés’ letzte Bemerkung nicht gehört.
    «Ich habe gesagt, dass …», hebt Ginés an.
    «Ginés!», warnt María.
    Nieves und Amparo stoßen unisono einen markerschütternden Schrei aus. Ein großes Kamel mit schmutzigem Fell ist von rechts in die Straße gelaufen. Ginés, der es erst im letzten Moment sieht, kann nicht mehr bremsen. Er spannt seine Muskeln an und legt sich nach links, kann gerade noch ausweichen. Auch María kann nicht mehr bremsen und vollführt ein ähnliches Manöver, aber sie streift das Tier. Das Kamel ist ebenso erschrocken wie die Radfahrer und weicht so schnell zurück, wie seine Größe und Anatomie es erlauben. Dadurch entgehen die beiden anderen Frauen, die angsterstarrt geradeaus gefahren sind, einem Zusammenstoß. Schließlich sucht das Kamel das Weite und hinterlässt einen übelerregenden Geruch nach Dung.
    Nieves nimmt die Füße von den Pedalen und kommt ins Schleudern, streift leicht Amparos Lenker und Arm. Amparo wiederum hat einen Schlag des struppigen Schwanzes abbekommen und ist ins Schlingern geraten. Trotzdem gelingt es beiden, einen Sturz zu vermeiden und das Fahrrad zum Stehen zu bringen, direkt neben Ginés und María, die sprachlos und wie gelähmt das Geschehen verfolgt haben. Vor ihnen liegt das letzte Stück der Straße, das zu einer Kuppe ansteigt. Von dort geht es wieder leicht bergab.
    «Ein Kamel! Ich fass es nicht!», ruft María. Alle sehen dem Tier nach, das langsam davontrottet, gut sichtbar, weil die Straße an dieser Stelle durch eine Baulücke führt.
    «Oder ein Dromedar», sagt Amparo.
    «Nein», widerspricht María, ohne den Blick von dem Tier zu lösen. «Das ist ein Kamel. Dromedare haben nur einen Höcker.»
    «Wir haben Glück gehabt», sagt Ginés. «Wir hätten ganz schön auf die Schnauze fliegen können.»
    «Scheißbremsen sind das!», schimpft María. «Die funktionieren ja überhaupt nicht!»
    «Wie das Vieh gestunken hat!», sagt Amparo.
    María muss lachen. Nieves’ Reaktion auf den Vorfall ist dramatischer.
    «Ich … Ich kann nicht mehr», flüstert sie mit zitternder Stimme. «Diese Tiere, das ist ein einziger Albtraum. Was haben die Tiere mit alldem zu tun?»
    «Bestimmt gibt es dafür eine natürliche Erklärung», beschwichtigt sie María. «Ich meine einen Striemen gesehen zu haben, eine Art Zaumzeug, wie bei Pferden.»
    «Ein Pferdegeschirr?», wundert sich Ginés. «Ist mir gar nicht aufgefallen.»
    «Doch, vorne am Hals», beharrt María.
    Ginés sieht nach rechts, wo sich das Baugrundstück wie ein langer Streifen in die Ferne zieht, bis zu einem umzäunten Fußballplatz. Die Büsche und Sträucher auf dem Gelände sind verkohlt, sehen aus wie Weinreben ohne Blätter. Auf halber Strecke zwischen dem Schauplatz des

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