Ende (German Edition)
Zusammenstoßes und dem Fußballplatz ist das Kamel unschlüssig stehengeblieben. Vielleicht hat es gesehen, was Ginés gesehen hat: Da schleicht etwas durch die verdorrte Vegetation, etwas, das die gleiche Farbe wie die Büsche hat, vielleicht einen Tick dunkler, gelber, mit Flecken übersät. Mal ist es zu sehen, mal nicht, lauernde, schnüffelnde, schleichende Bewegungen knapp über dem Boden. Wie eine Raubkatze.
«Nichts wie weg hier!», schreit Ginés und sucht mit dem Fuß das Pedal. «Schnell!»
«Was ist?»
«Ich weiß nicht, aber …»
«Sieht aus wie … wie …»
Es ist Amparo, die da spricht. Sie und María haben gesehen, was Ginés’ Aufmerksamkeit erregt hat. Nieves hingegen nicht, sie hat sich nicht getraut. Trotzdem folgt sie Ginés’ Aufforderung und tritt in die Pedale. Aber die Straße führt bergauf, was das Anfahren mühsam macht. Nieves setzt den Fuß nicht richtig auf und kann deshalb nicht ihr volles Körpergewicht einsetzen. Amparo rutscht immer wieder ab und schlägt sich das Schienbein an. María stößt sich mit den Fußspitzen vom Boden ab, bevor sie kraftlos antritt und mit dem Lenker kämpft, der ein Eigenleben zu entwickeln scheint.
«Macht schneller!»
Ginés ist problemlos angefahren, bremst aber wieder ab, um auf die Frauen zu warten. Immer wieder wandert sein Blick zu dem Feld hinüber. Inzwischen ist allen klar, dass es sich um große Raubkatzen handelt, wahrscheinlich Löwinnen, denn keines der Tiere hat die typische Mähne der Männchen. Offenbar haben sie die Menschen gewittert oder ihre Schreie gehört, denn sie schleichen jetzt nicht mehr, sondern rennen geschmeidig und entschlossen auf sie zu. Die vier Radfahrer erreichen die Kuppe und nehmen schwankend Tempo auf, treten in die Pedale, was das Zeug hält.
Das leichte Gefälle und der gerade Verlauf der Straße sorgen dafür, dass sie gut vorankommen. Hundert Meter haben sie bereits zurückgelegt, als María sich umdreht. Sie führt den Lenker mit und landet beinahe im Straßengraben, kann sich aber gerade noch fangen. Was sie sieht, beruhigt sie.
«Sie folgen uns nicht!», ruft sie den anderen zu. «Einer ist uns nachgerannt, aber der ist umgekehrt!»
«Das Kamel! Wahrscheinlich jagen sie jetzt das Kamel!», vermutet Amparo, die jetzt ebenfalls nach hinten schaut, weil die gute Nachricht ihr Auftrieb gegeben hat.
«Schaut mal da!», ruft Ginés plötzlich und zeigt nach rechts.
Sie haben die letzten Häuser hinter sich gelassen, der Blick ist frei. Auf einem großen Feld steht, umringt von Lastwagen und Wohnmobilen, ein Zirkuszelt. Es ist etwas abseits der Straße errichtet und wirkt verlassen.
«Natürlich! Ein Zirkus!», ruft Ginés erleichtert.
«Das erklärt auch das Kamel. Und die Löwen», sagt María.
«Und den Bären!», ruft Amparo in Erinnerung. «Bestimmt ist der auch von da.»
Nur Nieves freut sich nicht über die Entdeckung. Nach wie vor hält sie den Blick nach vorne gerichtet, nach wie vor tritt sie mit voller Kraft in die Pedale. Sie weint wie ein Kind, rein, zart, aus Kehle, Augen und Nase.
D ie Straße zieht sich wie ein Band in die Ferne, verschwindet hinter Kuppen, taucht wieder auf, folgt den sanften Wellen der Ebene. Die Landschaft ist karg: Brachen und gelbe Kornfelder wechseln einander ab, unterbrochen von grauen, toten Abschnitten, wo die Natur der Dürre Tribut gezollt hat; hier ein bewaldeter Hügel, dort ein kleiner Pinienhain, gelegentlich ein altes, verlassenes Gehöft; landwirtschaftliche Nutzgebäude, Speicher und Silos, unpersönlich weiß oder stahlgrau.
Die Radfahrer schweigen, schwitzen, kommen unerträglich langsam voran. Sie lassen die Köpfe hängen, starren auf den Asphalt, weil sie erschöpft sind, weil es nicht nötig ist, nach vorne zu schauen auf einer schnurgeraden Straße, die keine Überraschungen bietet, die unmerklich ansteigt, auf eine Kuppe zu, eine weitere Kuppe, die nicht kommen will. Sie starren auf den Boden, um zu verdrängen, dass die Sonne brennt, der Asphalt sich in der Ferne zu verflüssigen scheint, die brachliegenden Felder flimmernd Hitze ausatmen, als wären die Erdbrocken feuerfeste Teile, die gerade aus dem Ofen kommen.
Plötzlich hebt Nieves den Kopf und sieht ihre Freunde an. Sie hat ihr Haar unter eine grellbunte Mütze gesteckt und lugt mit erschrockenem Blick unter dem Schild hervor. Das Weiß um ihre Augen bildet einen scharfen Kontrast zu den vor Hitze und Anstrengung geröteten Wangen.
«Wie das wohl ist, wenn man
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