Enders Spiel
Ender nichts. Er richtete seine Gedanken auf das Spiel und versuchte, aus den Schlachten zu lernen. Und nicht nur die speziellen Lektionen aus jeder Schlacht, sondern was die Krabbler vielleicht anders gemacht hätten, wenn sie cleverer gewesen wären, und wie Ender reagieren würde, wenn sie es in Zukunft täten. Er lebte zugleich mit vergangenen wie mit zukünftigen Schlachten, im Wachen wie im Schlafen, und er trieb seine Geschwaderführer mit einer Intensität an, die bisweilen Rebellion provozierte.
»Du bist zu nett zu uns«, sagte Alai eines Tages. »Warum ärgerst du dich nicht über uns, weil wir nicht in jedem Augenblick bei jeder Ãbung brillant sind. Wenn du uns weiter so verhätschelst, werden wir noch glauben, du hättest uns gern.«
Einige der anderen lachten in ihre Mikrofone. Ender erkannte natürlich die Ironie und antwortete mit einem langen Schweigen. Als er schlieÃlich sprach, ignorierte er Alais Klage.
»Noch mal«, sagte er, »und dieses Mal ohne Selbstmitleid.« Sie machten es noch mal und machten es richtig.
Aber während ihr Vertrauen in Ender als Kommandanten wuchs, verschwand nach und nach ihre Freundschaft aus Kampfschultagen. Untereinander kamen sie sich näher; untereinander tauschten sie Vertraulichkeiten aus. Ender war ihr Lehrer und Kommandant, so fern von ihnen, wie Mazer es gewesen war, und genauso anspruchsvoll.
Sie kämpften deswegen umso besser. Und Ender wurde nicht von seiner Arbeit abgelenkt.
Wenigstens nicht, solange er wach war. Wenn er abends in den Schlaf hinüberdämmerte, war er in Gedanken am Simulator, lieà die Erinnerung daran durch seinen Geist wandern. Aber in der Nacht dachte er an andere Dinge. Oft sah er den Leichnam des Riesen, der stetig zerfiel, jedoch nicht den virtuellen Riesen auf seinem Pult; er war real, und der schwache Geruch des Todes schwebte immer noch in seiner Nähe. In seinen Träumen waren die Dinge anders. Das kleine Dorf, das zwischen den Rippen des Riesen gewachsen war, bestand jetzt aus Krabblern, und sie begrüÃten ihn erst wie Gladiatoren, die Cäsar grüÃten, bevor sie zu seinem Vergnügen starben. Er hasste die Krabbler in seinen Träumen nicht; und obwohl er wusste, dass sie ihre Königin vor ihm versteckt hatten, versuchte er nicht, nach ihr zu suchen. Er verlieà den Körper des Riesen immer rasch, und wenn er zu dem Spielplatz kam, waren die Kinder immer da, wölfisch und spottend; sie trugen Gesichter, die er kannte. Manchmal Peter und manchmal Bonzo, manchmal Stilson oder Bernard; ebenso oft aber waren die wilden Geschöpfe Alai und Shen, Dink und Petra; manchmal war eines von ihnen sogar Valentine, und in seinen Träumen drückte er auch sie unter Wasser und wartete darauf, dass sie ertrank. Sie wand sich in seinen Händen, kämpfte darum hochzukommen, erschlaffte aber schlieÃlich. Er zog sie aus dem See und auf das FloÃ, wo sie mit im Todeskampf verzerrtem Gesicht dalag. Er schrie und weinte neben ihr, rief wieder und wieder, dass es ein Spiel sei, ein Spiel, er spiele doch nur â¦
Dann rüttelte Mazer Rackham ihn wach. »Du hast im Schlaf geschrien«, sagte er.
»Tut mir leid«, sagte Ender.
»Macht nichts. Es ist Zeit für eine weitere Schlacht.«
Stetig nahm das Tempo zu. Gewöhnlich fanden jetzt zwei Schlachten pro Tag statt, und Ender beschränkte die Ãbungen auf ein Minimum. Er nutzte die Zeit, in der die anderen sich ausruhten, um über den Aufzeichnungen vergangener Spiele zu brüten; versuchte zu erraten, was als Nächstes kommen würde. Manchmal war er auf die Neuerungen des Feindes vorbereitet; manchmal war er es nicht.
»Ich glaube, Sie mogeln«, warf Ender eines Tages Mazer vor.
»Ach?«
»Sie können meine Trainingssitzungen beobachten. Sie können sehen, woran ich arbeite. Sie scheinen für alles bereit zu sein, was ich mache.«
»Das meiste von dem, was du siehst, sind Computersimulationen«, sagte Mazer. »Der Computer ist programmiert, erst auf deine Neuerungen zu reagieren, nachdem du sie einmal in der Schlacht verwendet hast.«
»Dann mogelt der Computer.«
»Du brauchst mehr Schlaf, Ender.«
Aber er konnte nicht schlafen. Jeden Abend lag er länger und länger wach, und sein Schlaf war weniger erholsam. Er erwachte zu oft in der Nacht. Ob er aufwachte, um mehr über das Spiel nachzudenken oder um seinen Träumen zu
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