Enders
Emma schien nichts über mich zu wissen. Sie hatte keine Ahnung, dass ihre Großmutter mich gemietet hatte, damit ich den Senator erschoss. Und dass sie mir, als das misslang, einen anderen Plan unterbreitete: Ich sollte herausfinden, was mit ihrer Emma geschehen war. Das schienen mir zu viele Neuigkeiten auf einmal für Emma zu sein. Aber die entscheidende Tatsache musste sie erfahren, vor allem, da sie von der falschen Vorstellung ausging, sie könnte ihre Großmutter noch retten.
Außer sie belog mich …
»Emma, darf ich dir ein paar Fragen zu deinem Zimmer stellen? Was befindet sich beispielsweise in der Schatulle auf deiner Kommode?«
»Schmuck.«
»Kannst du diesen Schmuck genauer beschreiben?«
»Jede Menge alter Kram. Anstecknadeln. Sachen, die ich von meiner Mutter bekam. Und … ein Bettelarmband, das mir Doris schenkte.«
»Ich hatte das gleiche«, sagte ich. »Auch von Doris.«
»Es sah hübsch aus.« Eine leise Wehmut huschte über ihre Züge. »Schade, dass ich es nicht mehr habe.«
Ihr Ausdruck und ihre Worte verrieten mir, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Sie schien irgendwie abgeschaltet zu haben wie Leute, die lange Zeit in Gefangenschaft oder Abhängigkeit zugebracht hatten. Ich hatte diesen Blick bei manchen der Mädchen im Waisenhaus gesehen … auch bei meiner Freundin Sara. Emma war gefügig … geistesabwesend … ein wenig wie eine Traumwandlerin.
»Emma, seit wann bist du in der Gewalt dieser Leute?«
»Seit wann?«
»Du hattest diesen Kontrakt bei der Body Bank unterschrieben. Was geschah dann?«
»Ich traute mich nicht mehr heim. Großmutter wäre total ausgerastet. Und verheimlichen konnte ich es nicht. Sie hätte sofort mein Makeover bemerkt.«
»Also bist du abgehauen?«
»Mit Kevin. Er war nicht mein Freund, nur ein guter Kumpel, obwohl ich weiß, dass er mehr von mir wollte. Wir hatten beschlossen, unser Geld zusammenzulegen und gemeinsam eine Wohnung zu nehmen.«
»Aber dann fand euch der Mann mit dem Leoparden-Tattoo.«
Sie nickte. »Dawson. Er gab sich als Eigentümer der Wohnung aus, in die wir ziehen wollten.«
»Ich verstehe.«
»Kevin sollte mich dort treffen, aber er tauchte nicht mehr auf.«
Ich fragte mich, ob er Brockmans Leuten in die Hände gefallen war. Aber darüber konnte ich noch nicht mit ihr sprechen.
»Wie lange bist du jetzt bei Dawsons Leuten?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Welchen Tag haben wir heute?«
»Emma, die haben mich so straff fixiert«, wisperte ich. »Die Fesseln schneiden ein. Könntest du sie nur ein wenig lockern?«
Die Bewacherin schob die Tür ein Stück auf, um uns daran zu erinnern, dass wir nicht allein waren. Emma warf einen Blick in Richtung der Frau und setzte sich sehr gerade hin.
»Callie, es geht um ein paar wichtige Tests.« Ihre Stimme klang jetzt lauter.
»Die haben wir alle mitgemacht«, fuhr sie fort. »Ich auch. Das ist echt nichts Schlimmes.«
Ich sah ihren Augen an, dass sie log.
»Für dich vielleicht nicht«, entgegnete ich. »Aber meine Einwilligung bekommen sie nicht.«
Sie ließ die Schultern hängen. »Callie, bitte hör auf mich! Du musst dich einverstanden erklären. Du hast keine andere Wahl.«
Der Leoparden-Mann – Dawson – betrat das Zimmer.
»Du kannst gehen, Emma«, sagte er.
Sein Tonfall war fest und streng, als spräche er mit einem Kind. Emma sah ihn verängstigt an, rührte sich aber nicht vom Fleck.
»Emma, geh jetzt!«, befahl er.
Sie nahm den Smoothie-Becher und ging. Dawson beugte sich über das Fußende des Krankenbetts. Die weiße Mähne, die seine Schultern umwallte, gab ihm das Aussehen eines bösen Zauberers aus irgendeinem alten Film, an den ich mich kaum erinnerte.
»Und wie fühlst du dich?«, fragte er ohne die Spur eines Lächelns.
»Was denken Sie wohl, wie ich mich fühle – festgebunden wie ein Tier?«
»Wenn du einwilligst, mit uns zusammenzuarbeiten, lösen wir die Fesseln. Aber zuerst brauchen wir deine Einwilligung.«
»Ich verlange, dass Sie mich freilassen, ohne dass ich in irgendetwas einwillige.«
Er seufzte und drückte auf einen Knopf. Die Seitenwände des Krankenbetts glitten nach unten und rasteten mit einem dumpfen Aufschlag in einer Bodenschiene ein. Ohne irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen. Dann zog er ein großes Messer aus der Tasche und klappte es auf. Licht spiegelte sich auf der langen Klinge. Ich bemühte mich, nicht zusammenzuzucken, als er den Arm senkte.
Er schob die Klinge unter die
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