Enders
Hände hinter dem Rücken gefesselt. Die uniformierten Enders bewachten uns, während der Leoparden-Mann und Emma mit Michael durch eine Tür zur Linken verschwanden. Große Airscreens an der Wand zeigten das mittlerweile leere »Café«. Ein Theater, einzig und allein für uns inszeniert. Der traurige Ender und der Kassier an der Theke kamen zurück, in schwarzer Kluft wie alle anderen.
Weshalb brachten sie Michael weg?
»Was machen sie mit ihm?«, fragte ich Hyden.
Der schwarz uniformierte Ender stieß mich mit dem Gewehrlauf an. »Still, ihr beiden!«
Das kalte Metall an meinem Ärmel ließ mich zusammenzucken. Warum, warum, warum? Warum waren wir hier? Alles, was ich gewollt hatte, war ein normales Leben mit meinem Bruder – und da saß ich nun, wieder mal gefangen. Nur dass ich mich diesmal nicht im Institut 37 befand.
Eher an einem noch schlimmeren Ort.
Außer den Airscreens gab es noch Stereo-Projektionen, die den ganzen Raum verwandelten – wechselnde Szenen, begleitet von Düften und sanften Geräuschen, die zu den Bildern passten. Im Moment umgab uns ein im Wind raschelnder Bambuswald, der einen grasigen Geruch verströmte. Ich wusste nicht, ob sie damit nur die nüchterne Lagerhalle ausgestalten wollten oder ob es sich um irgendeine militärische Psycho-Methode handelte, um uns die Orientierung zu erschweren. Wenn es so war, hatten sie durchaus Erfolg damit.
Hydens Blicke übermittelten Erschöpfung. Er seufzte und schloss einen Moment lang die Augen. Es war eine Geste der Entschuldigung.
Wäre ich nicht zum Schweigen verdammt gewesen, hätte ich ihm gesagt, dass er nichts für unsere Situation konnte. Schließlich hatte ich darauf bestanden, mit Emma Kontakt aufzunehmen. Nur deshalb saßen wir nun mit Handschellen gefesselt hier, und Michael wurde getrennt von uns verhört.
Unvermittelt nahm ich meine Umgebung nur noch verschwommen wahr. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Gleich würde ich eine Erinnerung von Helena durchleben, so scharf und klar, als sei sie meinem eigenen Gedächtnis entsprungen. Und da kam sie: Der Mond schien, und ich lag in Helenas Himmelbett. Ich knipste die Tischlampe an, stand auf und trat an den offenen Wandschrank. Der Teppich war zurückgeschlagen. Im Boden darunter befand sich ein Geheimfach. Ich hob den Holzdeckel mit der Lederschlaufe an und sah die Pistole.
Ich nahm sie aus ihrem Versteck und presste sie gegen die Wange, spürte die Macht, die von ihr ausging. Das Metall war eiskalt.
Die Erinnerung endete abrupt – als sei ich aus einem Traum hochgefahren. Mir war kalt. Angst? Ich erschauerte, als versuche mein Körper die Bilder abzuschütteln. Helenas Erinnerungen schienen mich vor allem in Momenten besonderer Anspannung zu erreichen. Manchmal halfen sie mir. Aber in dieser Rückblende konnte ich keinerlei Bedeutung erkennen. Außer dem Hinweis, dass mein Gehirn mir nicht allein gehörte.
Ich war jetzt hellwach und nahm meine Bambuswald-Umgebung sehr bewusst wahr.
Mein Blick wanderte zu Hyden hinüber. Sein Kopf war nach vorn gesunken, und er hatte die Augen geschlossen. Schlief er? Das war schwer zu sagen. Vielleicht zog er sich nur in sein Inneres zurück. Bei seinen Berührungsproblemen musste er die grobe Behandlung der schwarz Uniformierten als besonders brutal empfinden.
Die Tür zum Nebenraum ging auf, und der Leoparden-Mann kam heraus. Allein.
»Bringt das Mädchen her«, befahl er.
kapitel 15 Hyden schlug die Augen auf. Wir wechselten einen Blick, als einer der Militärs auf mich zukam und mich von meinem Stuhl hochriss.
»Und was ist mit ihm?«, fragte der Ender den anderen Wachtposten.
»Nur das Mädchen«, erklärte sein Kollege.
Während der Uniformierte mich mitzerrte, sah ich die Besorgnis in Hydens Zügen.
»Lasst sie in Ruhe«, rief er. »Nehmt mich an ihrer Stelle.«
»Du kommst schon noch dran«, knurrte der Wachtposten und versetzte ihm einen Tritt gegen das Schienbein.
»Aufhören!«, schrie ich.
Mein Wächter packte mich fester und stieß mich durch die Tür zur Linken in einen kleinen Raum. Die Stereo-Projektion vermittelte die Illusion einer Felsenhöhle. Er drückte mich auf einen Metallstuhl.
Ich hörte eine Stimme von hinten.
»Du kannst gehen«, sagte die Stimme zu dem Wachtposten.
Ich drehte mich um. Der Leoparden-Mann.
Der Wächter zögerte einen Moment, als sei ich eine gefährliche Meuchelmörderin, mit der er seinen Boss nicht gern allein ließ.
»Jawohl, Sir«, sagte er dann und verließ den Raum.
Der
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