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Enders

Enders

Titel: Enders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lissa Price
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Leoparden-Mann trug ein langärmliges schwarzes Strickhemd und schwarze Jeans. Das lange weiße Haar umrahmte sein Gesicht wie eine Mähne. Tatsächlich hatte er, als er um meinen Stuhl herum nach vorne kam, etwas von einem Raubtier, das sich an seine Beute anschlich. Er betrachtete mein Gesicht forschend von allen Seiten. Dann trat er hinter meinen Stuhl und drückte meinen Kopf nach vorne. Er teilte mein Haar und legte die Stelle frei, an der Redmond den Chip eingesetzt hatte. Ich spürte, wie seine Finger vorsichtig über die Narbe strichen.
    »Lassen Sie mich los. Was machen Sie da?«, fragte ich.
    Er beachtete mich nicht. Nach einer kurzen Untersuchung entfernte er sich, und ich hob den Kopf.
    »Sie haben nicht das Recht, uns hier festzuhalten. Ich verlange einen Anwalt.«
    Er stieß ein hartes Lachen aus. »Du glaubst im Ernst, dass hier die Gesetze gelten, auf die du dich berufst?« Er bückte sich, bis wir auf gleicher Augenhöhe waren. »Ich kann dir sagen, wessen Gesetz hier gilt: meins. Du gehörst mir. Du bist mein Spielzeug. Meine Puppe. Ich mache, was ich will. Wann ich es will.«
    Ich vernahm einen leichten Akzent in seiner Stimme, konnte ihn aber nicht einordnen. Seine graublauen Augen waren von feinen Fältchen umgeben. Früher einmal hatte er vielleicht sogar gut ausgesehen, aber jetzt verrieten seine Züge nur noch abstoßende Grausamkeit. Seine Hände wirkten grob, mit kräftigen Knöcheln und harten Schwielen. Ich hegte nicht den geringsten Zweifel, dass er sich auf alle Arten von Künsten verstand, jemanden zum Reden zu bringen. Meine Blicke wanderten durch den Raum. Zwei Türen. Nichts, das sich als Waffe verwenden ließ. Ich sah nach oben. Die Höhlen-Illusion verbarg nicht, dass man hier mit Paneelen eine Zwischendecke eingezogen hatte. Vielleicht konnte man sich dort oben verstecken.
    Wenn man erst mal dort war.
    Der Leoparden-Mann setzte sich auf den Tisch vor mir und starrte mir in die Augen. Ich wusste nicht recht, was das sollte. Forschte er nach irgendwelchen Merkmalen? Oder versuchte er mich nur einzuschüchtern? Ich wich seinem Blick nicht aus. Schließlich erhob er sich und ging auf die andere Tür zu.
    Er öffnete sie, und eine drahtige Ender-Frau mit kurz geschorenem weißem Haar trat ein.
    »Nimm sie mit«, sagte er.
    Die Frau packte mich grob am Arm. Während sie mich an dem Leoparden-Mann vorbeizerrte, starrte ich ihm bis zuletzt in die Augen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich Widerstand leisten würde, selbst wenn das meinen Tod bedeutete.
    Dann dachte ich an Tyler, und mit meiner gespielten Tapferkeit war es vorbei. Er würde Eugenia als Ersatzmutter und ein sorgenfreies Leben haben, wenn er mich verlor, aber keine Familie. Ich musste herausfinden, was sie wollten. Und ich musste herausfinden, ob ich mit ihnen einen Handel eingehen konnte. Einen Handel, der mich am Leben erhielt. Mich, aber auch Michael und Hyden.
    Meine Bewacherin führte mich durch einen Korridor, der die Illusion eines reißenden Flusses vermittelte, und brachte mich in einen Raum, der an eine Hightech-Arztpraxis erinnerte. An eine Wand war ein Kiefernwald projiziert. Vögel flatterten durch das Geäst. Die Ender-Wächterin hob mich auf einen Untersuchungstisch und drückte auf einen Fußhebel. Ein Motor surrte und verstummte, als die richtige Höhe erreicht war.
    Ein Arzt betrat den Raum, ein kleiner, untersetzter Ender, der mir mit feierlichem Ernst zunickte.
    »Ich würde Sie jetzt gern untersuchen.« Das klang, als benötigte er meine Zustimmung.
    »Und wenn ich mich weigere?«
    »Diese Möglichkeit haben Sie leider nicht«, sagte er. »Können wir also anfangen?«
    »Nein. Ich weigere mich. Ich werde hier gefangen gehalten.« Ich zerrte an meinen Handschellen. »Sie sehen, dass ich gefesselt bin. Aber ich habe nichts Unrechtes getan.«
    Der Doktor ließ die Arme hängen.
    Ich verlieh meiner Stimme einen flehenden Klang. Dieser Arzt war vielleicht der letzte vernünftige Mensch, dem ich begegnete. »Bitte, lassen Sie mich frei!«, sagte ich leise. »Das ist die einzig richtige Entscheidung.«
    Er wechselte einen Blick mit meiner Bewacherin. Meine Worte mussten ihn erreicht haben. Er musste einsehen, wie unrecht es war, mich hier festzuhalten. Er trat dicht an die Frau heran und raunte ihr etwas zu. Ich hoffte, er hatte sie angewiesen, meine Fesseln zu lösen. Sie schnürten mir das Blut ab, und meine immer noch auf den Rücken gedrehten Arme schmerzten.
    Dann kamen sie zu zweit auf mich zu. Ihre

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