Endithors Tochter
Geld, das er bekommen hatte.
»Sie hat es mir geschenkt!« erzählte er.
»Hast du gesehen, wohin sie ging?« fragten sie und starrten auf die Münzen.
»Ja.« Chost klimperte nachdenklich mit den Münzen in seiner Hand. »Ja, ich weiß jetzt, wo sie wohnt …«
Shadizar war am Morgen eine Nekropole, in der die Geister der Nacht sich hinter den Türen verschanzten, um sich vor dem Tageslicht zu verbergen. Die Tagmenschen erwachten und gingen ihren Geschäften nach. Sie achteten nicht auf die Nachtlichter, oder wussten vielleicht gar nichts von ihnen, die Seite an Seite mit ihnen lebten.
Sonja erwachte spät. Es war fast Mittag, als sie die Decken zurückwarf, sich räkelte, gähnte und den Kopf schüttelte. Der Wein der vergangenen Nacht hatte einen schlechten Geschmack im Mund hinterlassen. Eine kurze Weile blieb sie noch liegen – das unbequeme alte Kopfkissen kratzte sie am Nacken –, und lauschte auf die Straßengeräusche. In der alten Herberge selbst waren andere Geräusche zu hören: Husten, Rufe, Scheppern von Geschirr.
Sie stand auf, wusch sich mit dem Wasser aus der Schüssel auf einem Ständer in der Ecke und versprach sich, heute, endlich in das öffentliche Bad zu gehen und sich so richtig im Wasser zu aalen. Sie zog sich an, kämmte ihr langes Haar mit dem Silberkamm, den sie immer im Stiefelschaft bei sich trug, und schnallte sich den Schwertgürtel um. Ehe sie die Treppe hinunterging, öffnete sie noch das Fenster, um frische Luft einzulassen.
In der Gaststube im Erdgeschoß wurde gerade das Mittagessen aufgetragen. Sie bestellte es sich, und während sie aß, überlegte sie“ was sie heute tun sollte. Sie war nur durch Zufall – durch ein Abenteuer hierher verschlagen – in Shadizar. Aber sie kannte einige Leute in der Stadt oder zumindest die Namen, und könnte sich nach ihnen erkundigen. Mit Geld war sie für den Augenblick nicht schlecht gestellt, aber früher oder später würde sie sich doch etwas dazuverdienen müssen, auf die eine oder andere Weise. Es konnte nicht schaden, wenn sie auf dem Hauptplatz zu der öffentlichen Anschlagstafel mit den Stellenangeboten schaute. Vielleicht suchte eine Karawane Wächter oder irgendein Forschungstrupp Begleitschutz. Möglicherweise hörte sie auch in einer Schenke irgend etwas von Interesse oder traf zufällig einen alten Bekannten. In Shadizar kreuzten sich viele Wege.
Sonja beendete ihr Mahl, bezahlte den Wirt und verließ das Haus. Zwei Straßen weiter waren die städtischen Stallungen, wo sie ihr Pferd untergebracht hatte. Sie besuchte es und war erfreut zu sehen, dass es gutes Futter und genug Wasser hatte; dann erinnerte sie auch noch den Stallburschen, dass der Hengst zweimal täglich ausgeritten werden musste. Der junge Mann versicherte ihr, dass das hier ohnehin üblich war, aber vorsichtshalber gab sie ihm ein paar extra Kupfermünzen, damit er sich besonders um ihn kümmere. Sie wollte vermeiden, dass ihr Pferd »gestohlen« und an die nächste Karawane verkauft würde, die die Stadt verließ.
Der Tag war hell und heiß, wie es jetzt im Frühsommer zu erwarten war, und die Kettenrüstung war etwas zu warm. Gemächlich spazierte Sonja Richtung Hauptplatz dahin und blieb dann und wann stehen, um sich ausgestellte Ware anzusehen, sich mit anderen Spaziergängern zu unterhalten oder auch mit drohender Geste herausfordernde Bemerkungen über ihr Aussehen zu beantworten.
Nachdem sie gerade einen kurzen Wortwechsel mit einem besonders aufdringlichen Burschen gehabt hatte – »He Rotschopf, wenn du jemand brauchst, der dir deinen Vorbau tragen hilft, ich hab’ zwei kräftige Hände!« »Komm her und versuch es, Schlangensohn, dann wird dir der Wind. zwischen den Beinen pfeifen, wenn du heimgehst!« –, achtete sie nicht darauf, als jemand auf der verkehrsreichen Straße ihren Namen rief. Als die Stimme jedoch nicht aufgab, drehte sie sich wütend um – und sah Sendes, der ihr aus einer großen Sänfte mit offenen Vorhängen zuwinkte.
»Komm doch bitte her!« rief er.
Über sich selbst lachend, bahnte Sonja sich einen Weg durch die Menge zu ihm.
»Wie schön, dich wieder zu sehen!« freute sich Sendes. »Was machst du denn heute?«
»Ich schaue mich in der Stadt um.«
»Hast du irgend etwas Besonderes für heute Abend vor?«
»Nein. Wieso fragst du? Möchtest du wieder Messer werfen?«
Er lachte laut. »Nein, nein, nein. Etwas viel Unterhaltenderes. Komm, setz dich herein, dann erzähle ich dir davon.«
Er machte ihr
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