Endithors Tochter
hungrig sie war.
»Das dort ist Imf, der Truchsess.« Sendes deutete auf einen Mann in feinem goldfarbigem Kittel und Beinkleid und weiß-purpurnen Sandalen. Der Gute schien überfordert zu sein und brüllte Befehle in alle Richtungen gleichzeitig.
»Durch die Westtür!« wies er lispelnd drei nackte Sklavinnen an. »Nein, nein, die West tür! Hat man denn diesen Mädchen nichts beigebracht? Du, Sodos! Führ diese Knaben durch den Vorhang und vergewissere dich, dass jeder eine Kanne Wein neben sich stehen hat, verstehst du? Mädchen! Durch jene Tür! Bei allen Göttern! Wurdet ihr denn ohne Ohren auf die Welt gesetzt?«
Sendes bahnte sich einen Weg durch die Eilenden, mit Sonja dichtauf, und bemühte sich, des Truchsess’ Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Imf! Imf! Imf.«
»O, Sendes, was willst du denn? Siehst du denn nicht, dass ich beschäftigt bin?«
Sendes brachte eine Pergamentrolle zum Vorschein. »Das ist die Liste der heutigen Bestellungen. Es müsste heute Nachmittag alles geliefert werden, Imf.«
»Steck sie mir in die Tasche. Du dort, warte mit den Appetithappen. Nimm zuerst diese Tabletts! O ihr Götter!«
Sendes fuhr sich über die Nase, blickte Sonja an und tupfte mit der Rolle auf einen Arm.
»Imf?«
»Durch die Vorhänge, ihr Versehen der Götter!«
»Imf?«
»Oh, in einem Augenblick, Sendes. Nein – nein, Hedos! Diese Reihe von Tabletts kommt …«
Verärgert drehte Sendes sich auf dem Absatz um. In diesem Moment ging eine Sklavin mit einem Tablett voll dampfender Braten, heißem Gemüse und Obst vorbei. Sendes stieß die Rolle mitten ins Gemüse, aus dem sie befleckt und nun ebenfalls dämpfend herausragte.
»Sendes!« rief Imf entsetzt. »Sendes, was hast du getan!«
Sendes nahm Sonjas Hand und zog sie durch das Gewühl in der Küche. Über die Schulter rief er: »Sieh zu, dass du die Rechnungen bezahlst, Imf!«
»Halt, Mädchen!« hörten sie Imf brüllen. »O verflucht! Ich brauche die Liste!«
Sonja lachte, als sie und Sendes die Küche hinter sich ließen und einen Korridor entlanggingen. »Das war nicht nett von dir«, rügte Sonja. »Der arme Kerl ist überlastet!«
»Oh, es war nicht nett, eh?« spöttelte er. »Wenn er bis jetzt nicht daran gewöhnt ist, wird er sich nie daran gewöhnen. Aber es muss ihm wohl gefallen, sonst würde er sich um diese Arbeit nicht reißen, der verdammte Narr!«
Der Gang führte in eine riesige Vorhalle, aus der die letzten einer langen Reihe von prächtig gewandeten Edlen gerade in den Hauptbankettsaal traten. Lord Nalor stand mit Dienern an der offenen Flügeltür. Er lächelte und begrüßte jeden seiner Gäste mit einem festen Händedruck und einer höflichen Bemerkung oder einem Späßchen. Sendes führte Sonja zu einer Säule abseits von den Gästen und sagte, sie würden hier noch eine Weile warten, bis die Begrüßung zu Ende war.
Sonja lehnte sich gegen die Säule und überkreuzte die Arme. »Das ist er also, hm?«
»Ja, das ist Nalor.«
»Er quillt ja geradezu über!«
»Was?«
Sie blickte Sendes durchdringend an.
»Nun«, murmelte Sendes verlegen. »Er bezahlt gut.«
»O sicher, daran zweifle ich nicht. Aber warum gibst du nicht wenigstens ein bisschen deines Lohns den Menschen auf der Straße ab? Sie sind die Bedürftigen – und vermutlich auch die, von denen das meiste kommt.«
Er antwortete ihr nicht, sondern bedachte sie mit einem Blick, der andeutete, dass er Zweifel an ihrem guten Geschmack, wenn nicht gar an ihrem Verstand hegte. Dann, als er sah, dass der letzte Gast eingetreten war, ging er ebenfalls auf die Tür zu und bedeutete Sonja mitzukommen.
Als Nalor seinen Leibwächter herbeitreten sah, hob er die Hände. »Ah, Sendes. Konntet Ihr alles gut erledigen heute Nachmittag?«
»Ja, mein Lord, ich nehme an, alles was ich bestellte, wurde rechtzeitig geliefert?«
»Ich vermute es.« Nalor nickte. »Darüber werden wir wohl mit Imf sprechen müssen. Wer ist Euer reizender Gast, Sendes?« Wohlgefällig blickte er Sonja entgegen.
»Man nennt sie die Rote Sonja, mein Lord. Sie schlug mich gestern Nacht im Messerwerfen.«
»Oh?« Nalor hob eine Braue. »Habe ich recht, dass Ihr Söldnerin seid, Rote Sonja?«
»Ja.« Ihr Blick ruhte ohne Wohlgefallen auf Nalor.
»Aber wohl keine Zamorierin?«
»Hyrkanierin, Lord Nalor.«
»Ah!« Zwischen Zamora und Hyrkanien hatte es so manche Auseinandersetzungen gegeben. »Nun, Ihr seid auf jeden Fall als Gast meines jungen Leibwächters hier willkommen. Ich schätze
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