Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi
ist eben manchmal etwas unangenehm», und in einer Duftwolke von teurem Parfum rauscht Duncan vorbei, um seiner Tante ein wenig theatralisch einen Handkuss aufzudrücken. «Na, liebe Tante, schon auf? Gut geschlafen? Und findest du nicht auch, Tante, dass wir Briten geradezu die Pflicht haben, die Berge zu erforschen? Sonst macht es doch keiner. Schon gar nicht diese Schweizer Berghirten, die Angst vor Berggeistern haben und so dämliches Zeugs.» Er zieht eine grässliche Fratze und lacht unbekümmert.
«Komm, komm, lieber Neffe, halte dich zurück, und iss dein Frühstück. Du hast versprochen, nach dem Frühstück mit mir Tennis zu spielen.»
«Sir Butterworth, ich sehe, Sie haben bereits zu Ende gefrühstückt. Wie immer, ein Frühaufsteher!», lächelt Amalia ihren Gast an und versucht, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken.
«Madam Amalia, der Signore hier versuchte mir vorhin zu erklären, dass man das Matterhorn erstmals von der italienischen Seite her besteigen wird. Ich hingegen bin der festen Überzeugung, dass dies nur von Norden her möglich ist. Was denken Sie, Madame?»
«Oh, Sir Butterworth, Sie wissen doch, dass ich nichts von der Bergsteigerei verstehe», beschwichtigt ihn Amalia. «Ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass man eines Tages wirklich zuoberst auf so einen Steinhaufen klettern wird. Und unsere alten Leute im Dorf meinen, das sollte man besser nicht tun, um nicht den Armen Seelen, dem Graatzug 7 , zu begegnen. Sie berichten von schrecklichen Begegnungen mit den Armen Seelen, als man sich damals auf das Aeggishorn wagte. Wer weiss, ob es wahr ist.»
«Ja, ja, aber wenn es ein paar Batzen zu verdienen gibt, sind sie dann doch froh, nicht wahr?» Sir Butterworth verzieht spöttisch das Gesicht.
Amalia lächelt. Eigentlich würde sie dazu gerne etwas sagen, aber sie zieht es vor, sich vor ihren Gästen etwas zurückzuhalten. Pierre hat ihr oft genug erklärt, dass das eben dazugehört im Gastgewerbe. «Ein Hotel verpflichtet zu Diskretion, Amalia», pflegt er zu sagen. Diskretion, denkt Amalia, ja das wird jetzt wichtig sein. Die Gäste dürfen sich nicht beunruhigen. Sie wollen die Sommerfrische hier oben geniessen und sollen dabei nicht gestört werden. Wenn sie sich vergegenwärtigt, was geschehen könnte, oben im Zimmer 11, wird ihr ganz mulmig.
Um sich selber etwas abzulenken, fragt sie: »Haben Sie Herrn Seagull gesehen?»
Signor Peffirelli antwortet sofort: »Ach, der steht nie vor zehn Uhr auf, dieser dormiglione 8 . Das Malen strengt ihn wohl dermassen an …!», und er kichert wie ein Lausbub, dem ein Streich gelungen ist. «Aber, wo bleibt eigentlich der Professore mit seiner jungen Lady? Wohl honeymoon, oder wie ihr Engländer das nennt.» Der Signore ist gut gelaunt heute.
«Stimmt, normalerweise ist er der Erste, der auf den Beinen ist. Man kann mit ihm auch so schön disputieren. Amalia, wollen Sie nicht einmal nachsehen?», schliesst sich Sir Butterworth an.
«Ach, da kommt die Signora. Buon giorno, carissima! », Signor Peffirelli steht auf, rückt den Stuhl für seine Gattin zurecht und stopft ihr ein Kissen in den Rücken.
Die Signora wirkt etwas verschlafen, hat aber schon richtig Toilette gemacht. Und sie hat diese italienische Eleganz in der Bewegung und im Äusseren, denkt Amalia, die den Engländerinnen völlig abgeht.
«Haben Sie gut geschlafen, Signora?», fragt Amalia.
«Oh, danke, eigentlich – bis auf…»
«Ja?»
«Es war heute Morgen etwas, wie soll ich sagen, geräuschvoll im Zimmer neben uns. Wer wohnt da nochmals, Ezio?»
«Die Signora hat einen leichten Schlaf», entschuldigt sich Signor Peffirelli für seine Gattin, «der Professor hat vermutlich eine kleine Gletscherbeobachtung durchgeführt. Er ist ein anerkannter Spezialist seit seiner Publikation. Haben Sie die gelesen, Sir Butterworth? Sehr lesenswert, sehr lesenswert.»
Sir Butterworth nickt, aber dann seufzt er und setzt sich gerade hin. Fest entschlossen, von dem geräuschvollen Treiben im Nebenzimmer der Signora Carabellese abzulenken, meint Amalia:
«Machen Sie doch heute eine kleine Wanderung zur Nesselalp, Signora, mit den Kindern, das gefällt ihnen bestimmt. Der Weg steigt kaum an und ist gut markiert. Ich kann Ihnen den Bub mitschicken, wenn Sie möchten.»
«Das ist lieb von Ihnen, Amalia», bemerkt Signora Carabellese, «aber ich glaube, wir wollen uns heute ein wenig erholen. Meine kleine Rosanna möchte unterhalb vom Hotel Blümchen pflücken gehen. Und
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