Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi
Sie sitzt jetzt aufrecht im Bett, starrt aber geradeaus ins Leere. Vorsichtig fragt er weiter:
»Mrs McGregor, verzeihen Sie, aber erinnern Sie sich vielleicht noch, wie viel von der Medizin Sie Ihrem Gatten gegeben haben?»
Lady Penelope richtet sich etwas auf und versteift sich im Rücken, als sie mit spitzer Stimme sagt: «Wie immer, einen Löffel von dem Chloralhydrat mit Sirupus Rubei gemischt, wegen des Geschmacks, und drei Löffel Magnesia.»
Doctor Feelgood macht Amalia ein Zeichen, und beide verlassen das Zimmer. Im Gang blickt er nach rechts und nach links und raunt ihr mit leiser Stimme zu:
«Ich, ehm, Madam, wie soll ich es sagen…»
Amalia verkrampft die Hände und schaut den jungen Gelehrten sorgenvoll an.
«Was ist es denn?»
«Ich bin nicht ganz sicher, aber Professor McGregor reagiert äusserst stark auf die ihm verabreichten Medikamente. Vermutlich eine allergische Reaktion oder so etwas.»
«Können Sie ihm helfen?»
«Es sieht leider nicht sehr gut aus, Madam, so, wie der Patient reagiert … Gott sei Dank hat er trotz seines Alters von zweiundvierzig Jahren eine kräftige Konstitution. Die sportliche Betätigung kommt ihm jetzt sehr zugute. Allerdings – diese Reaktion, ich weiss nicht, wir müssen rasch handeln. Ich tue, was ich kann.»
Amalia hält sich die Hand vor den Mund.
«Wissen Sie, Madam Amalia, der Professor hat sich nie geschont. Er war immer besessen von seinen Projekten, arbeitete Tag und Nacht. Konnte kaum aufhören. Ich hoffte, die Ehe mit der jungen Lady würde ihm guttun. Und jetzt das. Ich tue mein Bestes. Irgendetwas ist mit den Medikamenten. Die Angaben der Lady klingen zwar vernünftig, aber…»
«Sie meinen …?»
«Leute mit eigenen Apothekenkoffern, Sie wissen schon. Der Professor leidet unter Schlaflosigkeit, soviel ich weiss. Ich gehe jetzt wieder zu ihm. Vielleicht schicken Sie mir nachher eines ihrer Mädchen, dann kann ich mich um Lady Penelope kümmern. Wir sollten ihr ein separates Zimmer geben. Sie regt sich zu sehr auf, und ich möchte die Lady etwas schonen, ja?»
Mit diesen Worten lässt der Doctor Amalia allein im Gang stehen. O Gott, denkt Amalia, jetzt das! Der Professor, Raubbau? Hm. Er war immer kräftig und sah doch noch gestern gesund aus und so glücklich. Hoffentlich erholt er sich wieder. Dieser Doctor macht ein Theater. Der malt bestimmt den Teufel an die Wand. Wegen so eines bisschen Medikamente wird er doch wohl nicht … Er nimmt sie seit Jahren, wie er sagt. Die Lady müssen wir dislozieren, über den Gang, da ist ein Zimmer frei. Aber jetzt gehe ich erst einmal hinunter und sehe nach den anderen Gästen. Fatal! Wo doch heute die Versammlung ist.
3. Die Gäste dürfen nichts merken
Amalia betritt leise den Speisesaal. Am ersten Tischchen links sitzt Lady Farthing allein beim Frühstückstee. Die Lady schiebt sich gerade eine Scheibe Toast mit Orangenmarmelade in den Mund, als sie die Hôtelière erblickt.
Amalia setzt ein Lächeln auf und meint fröhlich: «Guten Morgen, Lady Farthing, haben Sie gut geschlafen? Sie sind sicher bereits akklimatisiert.»
«Ja, ja. Aber bitte, nennen Sie mich doch Cordula! Wissen Sie, Amalia, immer, wenn wir hier ankommen, sind wir so aufgeregt – die Berge und alles –, dass wir ganz aus dem Häuschen sind», berichtet die Lady vergnügt, während sie gleichzeitig an ihrem Toast weiterkaut. «Und Duncan ist so entzückt, dass er heute Abend dem Alpine Club offiziell seine Neuigkeiten vortragen darf. Vor einem solchen Publikum! Amalia, ach, dass ich das erleben darf …»
Lady Farthing plaudert fröhlich weiter, ohne zu bemerken, dass Amalia ihr gar nicht richtig zuhört.
«Ich war gestern ein paar Schritte weiter oben, Amalia, gleich oberhalb vom Hotel, wo man die allerbeste Rundsicht über diese herrliche Bergwelt hat. Und ich habe mich mit Duncan gezankt über die Frage, wo die Berge am schönsten sind. Er gehört natürlich auch zu diesen Kletterern, die alles nur von oben schön finden. Aber, habe ich zu Duncan gesagt, hier oben auf der kleinen Ebene, wo man so schön den Gletscher bestaunen kann und auch sonst einen wunderbaren Ausblick hat über Berge und Gipfel, hier ist es doch einfach am schönsten. Und ich habe es mir nicht nehmen lassen, von dort aus diesen majestätischen Kreis von Gipfeln zu betrachten – wie habe ich neulich in einem Reisebericht gelesen? Von Gipfeln war da die Rede, die auf den warmen Bergrücken ruhen, unter einem tiefblauen Himmel, mit vereinzelten
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