Endstation Kabul
schrieb einen Antrag, ebenfalls nach Afghanistan verlegt zu werden. Ich wollte mich aktiv beteiligen und nicht nur vor dem Fernseher sitzen und zusehen.
Außer der Herausforderung, der Neugier und meiner Eignung war der finanzielle Anreiz kein unwesentlicher Aspekt gewesen, mich für diesen Einsatz zu begeistern. 93 Euro pro Tag gab es an Gefahrenzulage, bei einer Einsatzdauer von sechs Monaten kam da ein stolzes Sümmchen zusammen. Das Problem war nur, dass unser Bataillon ja gerade aufgelöst wurde und es schwierig war, eine passende Stelle für mich zu finden, die es zu besetzen galt, Allerdings hatte man mir versprochen, eine meinen Fähigkeiten entsprechende Verwendung zu finden, wenn ich dann vor Ort wäre. Offiziell wurde ich schließlich als Stabsdienstsoldat und Kraftfahrer nach Kabul kommandiert. Mir selbst war das völlig egal gewesen. Wichtig war mir nur, dass es überhaupt losging.
Um in das erste Kontingent Kabul kommen zu können, musste ich noch die notwendige sogenannte Kontingents-Ausbildung für Auslandseinsätze nachweisen. Da die Mühlen der Bürokratie bekanntlich langsam mahlen, dauerte es noch ein paar Wochen, bis es endlich so weit war. Am 18. März 2002 stand ich zusammen mit einem guten Dutzend anderer zukünftiger deutscher ISAF-Soldaten in Hildesheim und erhielt bei der Panzerbrigade 1 meine obligatorische neuntägige Ausbildung – für den Kosovo! Was sicherlich optimal gewesen wäre für einen Einsatz, wenn dieser auch im Kosovo stattgefunden hätte, nur ging es für mich ja ans andere Ende der Welt. Doch die Bundeswehr wusste sich zu helfen und fügte meinem offiziellen Befähigungsausweis ein Papier hinzu, wonach in Vorbereitung auf den ISAF-Einsatz in Afghanistan auch rechtliche Grundlagen und Landeskunde unterrichtet worden seien. Am Tag dieser nicht unwichtigen Einführungen muss ich geistig abwesend gewesen sein, denn ich kann mich an keinen einzigen Vortrag zu diesen Themen erinnern. Gut im Gedächtnis habe ich allerdings ein achtseitiges Papier zum Thema »Afghanistan«, das vom »Amt für militärisches Geowesen« stammte und uns allen kommentarlos in die Hand gedrückt wurde. Das musste wohl als Info über das, was mich und meine Kameraden dort erwartete, genügen.
Danach wurde ich zurück zu meiner Brigade nach Oldenburg geschickt und erfuhr, dass meine Reise am 11. April 2002 losgehen würde und mit der Heimkehr des ersten Kontingents am 30. Juni enden sollte. Ich war froh, endlich ein fixes Datum zu haben, und bereitete mich vor: Ich regelte persönliche Angelegenheiten und verabschiedete mich von meiner Familie und von Freunden. Es konnte mir schließlich niemand garantieren, dass ich sie jemals wiedersehen würde.
In der Kaserne Köln/Mechernich, wohin ich einen Tag vor dem Abflug verlegt wurde, ließ ich zusammen mit den anderen Soldaten, die nach Kabul verlegt wurden, die nötigen Prozeduren über mich ergehen. Wahnsinn, wie viel Papierkram da erledigt werden muss. Die Bürokratie in einer Armee, besonders in der Bundeswehr, ist unglaublich. Alles muss in mehrfacher Ausfertigung vorliegen, das Ausfüllen der Dokumente wird zum Staatsakt. Sogar die Packweise der mitgeführten Ausrüstung wird genau vorgeschrieben, und zwar bis auf solche Details, was man in welcher Hosentasche seiner Tarndruck-Feldhose haben muss: in der linken Hosentasche Gehörschutz und Mückenschleier, in der rechten ein olivgrünes Bundeswehr-Taschentuch, in der linken Seitentasche unter anderem ein Verbandspäckchen und in der rechten – ironischerweise entgegen den internationalen Bestimmungen für die Luftsicherheit – ein an einer Schnur befestigtes Fallschirm-Kappmesser. Auch der Inhalt der Mehrzwecktasche und die Verstauung der ABC-Schutzmaskentasche waren genauestens festgelegt.
Am letzten Abend vor dem Abflug zog ich mit meinen Kameraden durch die Kneipen Kölns. Die Wirte wussten schon, zu was für einem »Verein« wir gehörten, denn diese Praxis hat vor Auslandseinsätzen gute, alte Tradition. Mit gutem Grund. Uns allen war bewusst, dass es in den nächsten Monaten in puncto Freizeit, Entspannung und Party schlecht aussehen würde. Also ließen wir noch mal ordentlich »die Sau raus« und zogen bis morgens in der Früh um die Häuser. Auf Einzelheiten möchte ich nicht näher eingehen, nur so viel: Ich habe es genossen! Am nächsten Morgen standen etwa fünfzehn müde Soldaten am Terminal und ließen die Abfertigungsprozeduren über sich ergehen. Vom Start bekam ich schon nicht
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