Endstation Kabul
vorbereitet gewesen, die Bilder hatten mich in meinem Innersten berührt und sind mit nichts zu vergleichen, was ich jemals sah. Darauf hatte mich kein Urlaub in einem armen islamischen Land vorbereiten können. Gleichzeitig fühlte ich mich wie in einer Geschichte aus Tausendundeiner Nacht und war beeindruckt von der Mentalität des afghanischen Volkes. Die Afghanen lagen ein- bis zweihundert Jahre zurück in der Zeit, aber sie schauten voller Zuversicht in die Zukunft. Diese Menschen nahmen ihr Schicksal in die eigenen Hände und warteten nicht lange auf Hilfe von außen. Sie packten mit einem Fleiß an, wie ich es mir nicht hatte vorstellen können. Überall sah man Männer, die Häuser ausbesserten, an den Straßen arbeiteten und dabei ein ausgeprägtes Improvisationstalent an den Tag legten. Ich gewann an diesem Tag eine hohe Achtung vor dem afghanischen Volk.
Die Tour in die Stadt hatte mich so stark beeindruckt, dass ich die kommenden Tage meine Umgebung regelrecht nervte. Ich wollte noch mehr von Kabul sehen, war von dieser Stadt fasziniert und angewidert zugleich. Die Verantwortlichen erkannten glücklicherweise recht schnell, dass es auf Dauer keine gute Idee wäre, mich nur in der OPZ einzusetzen. Alex trug ein Übriges dazu bei, mir die größtmögliche Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Er hatte sich bei den Österreichern für mich engagiert, und deren Major wurde schließlich mein »Retter«: Er setzte mich bei den österreichischen Jagdkommandos ein. Endlich würde ich eine meinen Fähigkeiten entsprechende Aufgabe haben.
Solche Kommando- oder auch Spezialeinheiten sind keine neue Erfindung in Zeiten des globalen Terrors, sie haben eine lange Tradition. Denn schon immer brauchten militärische Führer Spezialisten, die besondere Aufträge ausführen konnten. Klar, man denkt zuerst an die beiden Weltkriege, aber tatsächlich sind die ersten Spezialeinheiten schon in den Büchern Mose erwähnt worden, sie sind einfach eine militärische Notwendigkeit. Jedenfalls war für mich ganz logisch, dass die Österreicher mich sehr genau unter die Lupe nahmen und nach unseren Standardverfahren befragten, sie wollten sich ja kein zusätzliches Problem einhandeln.
Nach erfolgter Prüfung wurde ich abgestellt, sie bei ihrem nächsten Auftrag zu unterstützen, der Aufklärung der Evakuierungsrouten. Wir sollten herausfinden, wie das gesamte Kontingent aus dem Land gebracht werden könnte, falls die Sicherheitslage es erfordern würde. Bevor man irgendwo reingeht – und das gilt erst recht für ein völlig fremdes Gebiet –, muss man sich sehr genau darum kümmern, wie man wieder heil rauskommt. Das hatte ich schon in meiner Ausbildung gelernt. Insofern war ich ganz schön verwundert, dass diese Fragestellung bislang offenbar eine geringe Priorität gehabt hatte.
Wir sahen drei Möglichkeiten, aus dem Land rauszukommen: Variante A, die erste Option, war der Überlandweg nach Bagram. Dort, etwa 60 Kilometer nördlich von Kabul, war ein ehemaliger Flugplatz der Russen, der nun der größte amerikanische Stützpunkt im Land war. Die Rote Armee hatte während ihrer Besatzungszeit diesen Stützpunkt als Alternative zum Kabul International Airport (KIA) gebaut, um die geografischen Nachteile des Flughafens Kabul im Kampf gegen die Mudjaheddin auszugleichen. Variante B wäre der Flughafen Kabul selbst gewesen, dafür hätte aber das ganze Personal durch einen Teil der Stadt gemusst. Ganz schön unpraktisch und gefährlich also, wenn es hart auf hart kommen würde. Die letzte Chance, Variante C, wäre eine gemeinsame Evakuierungsoperation mit den Amerikanern gewesen, die uns aus der Luft unterstützen und nach Bagram hätten verlegen sollen. Unser Auftrag umfasste nun die Aufklärung dieser drei Möglichkeiten.
Die Auskundschaftung der örtlichen Infrastruktur, Straßen und Wege war dabei ebenso wichtig wie die Einschätzung, wo es durch feindliche Kämpfer oder andere Unwägbarkeiten zu Problemen kommen könnte. Ganz oben auf der Liste standen dabei die verdammten Minen. Und davon gab es in diesem Land scheinbar mehr als von den Sandkörnern, die sich überall in der Kleidung und den Körperöffnungen festsetzten und die auch den Geräten und Fahrzeugen arg zu schaffen machten. Unsere Aufgabe war, jede noch so kleine Erkenntnis über die Örtlichkeiten in die Karten einzuzeichnen. Skizzen und unsere eigenen Aufzeichnungen auf Diktiergeräten ergänzten die Maßnahmen.
Es sollte schon am nächsten Morgen losgehen.
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