Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
Vom Netzwerk:
unterstützte ich ihn bei den Vorbereitungen für die sogenannten LvU, die Lagevorträge zur Unterrichtung, bei denen jeden Morgen der deutsche General, der Verantwortliche der KMNB, auf den neuesten Stand gebracht wurde. Dabei werden maximal drei Problempunkte angesprochen, die es zu lösen gilt und für die im Anschluss entsprechende Aufträge erteilt werden.
    Schnell bildeten Dean, so hieß der Verbindungsmann der US Special Forces, Alex und ich ein Dreigestirn, wir verstanden uns wirklich super. Die ersten Aufklärungsergebnisse der Amerikaner erhielt ich immer direkt über Dean. Von der kühlen Sachlichkeit und Professionalität der anderen Nationen war ich angenehm überrascht. Man merkte ihnen an, dass sie über jahrelange Einsatzerfahrungen verfügten und sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließen. Sie wussten einfach, was wichtig war und was nicht.
    Bereits nach wenigen Tagen begann ich mit dem Aufbau meines eigenen Netzwerks. Verbindungen und Beziehungen schaden bekanntlich nur dem, der sie nicht hat. Außerdem wollte ich wissen, was außerhalb des Camps so läuft. In meiner dienstfreien Zeit sprach ich mit Kameraden, die auf Patrouille waren. Deren Eindrücke aus der Stadt waren wichtige Informationen für mich, die mir halfen, die Lage vor Ort einzuschätzen. Schwieriger war es, mit den Einheimischen in Kontakt zu treten. Erstens waren die weit weg in ihren Wohngebieten, zweitens hatten wir sehr unterschiedliche Sprachen und Kulturen, und drittens bin ich Fremden gegenüber erst mal eher misstrauisch. Aber durch Plaudereien mit den im Camp beschäftigten Locals bekam ich doch etliche Kontakte und Einblicke. Viele der Locals waren in der damaligen DDR geschult worden, unser Sprachmittler war sogar in Deutschland als Kampfpilot ausgebildet worden, in den siebziger Jahren.
    Als mein internes Netzwerk stand, wollte ich endlich eigene Erfahrungen sammeln. Raus in die Stadt, in die wirkliche Welt, weg von diesem »Autistenclub« im Stabsgebäude, wie einige inzwischen witzelten. Alex organisierte einen kleinen Ausflug in die Stadt für mich, sodass ich mir erstmals einen Einblick in diesen verwinkelten, verworrenen Millionenmoloch Kabul verschaffte. Von den Eindrücken war ich wie erschlagen. Zu dieser Zeit dominierten im Stadtbild noch die Eselskarren und die Frauen in ihren blauen Burkas. Aber ich sah auch eine Menge düster aussehender Gestalten mit harten und verschlossenen Gesichtern, allesamt bewaffnet. Wie in Deutschland beinahe jeder sein Handy dabeihat, war es hier die Kalaschnikow. Die Gesichter faszinierten mich. Was diese Menschen wohl schon alles erlebt hatten in der wechselvollen Geschichte Afghanistans? Auch Kriegsinvalide sah ich sehr viele, dazu Kinder, Frauen und Männer mit amputierten Gliedmaßen und Verbrennungen. Vor allem die Beine waren betroffen. Kabul hatte in seiner jüngeren Geschichte oft den »Besitzer« gewechselt, und alle Parteien hatten wahllos Landminen eingesetzt, um ihre Geländegewinne zu sichern. Es tat mir wirklich leid um diese Menschen, gerade die unschuldigen Kinder, die beim Spielen zu Krüppeln geworden waren.
    Die Straßen waren eng. Es war ein einziges Schieben und Drängeln, bis wir auf einen großen Platz kamen, auf dem Hunderte von Menschen ihren Geschäften nachgingen. Mir fiel auf, dass keine einzige Frau allein unterwegs war. Es musste mindestens ein männlicher Begleiter dabei sein, und wenn es nur der dreijährige Sohn auf dem Arm war. Offene, etwa 15 Zentimeter tiefe Gräben durchzogen die Straßen. Der Fäkaliengestank machte mir schnell klar, dass dies die Kanalisation Kabuls war. Dass er sich mit dem Geruch nach fauligem Obst mischte, machte die Sache nicht gerade besser. Auf einmal kamen Kinder an unser Fahrzeug, die erschreckend erbärmlich aussahen. In Deutschland wären sie wohl sofort vom Jugendamt abgeholt worden, so verdreckt und unterernährt waren diese Würmchen.
    »Biscuit, Biscuit?«, riefen sie immer wieder und suchten Körperkontakt zu uns. Ich war voller Mitleid, doch zugleich war mein militärischer Verstand alarmiert. Was wäre, wenn jemand diese Nähe ausnutzt und uns eine Handgranate in den offenen Wagen wirft? Was, wenn wir im Gedränge aus Versehen jemanden angefahren hätten? Wäre die Menschenmenge rachsüchtig über uns hergefallen? Ich wusste es nicht und war heilfroh, dass alles gutging.
    Abends lag ich noch lange in meinem Feldbett wach und versuchte, die Eindrücke zu verdauen. Auf den Kulturschock war ich nicht

Weitere Kostenlose Bücher