Endstation Venedig
du dich an den Fall des Amerikaners, der hier vor einer Woche ermordet wurde?
Ah, ja, bei einem Raubüberfall. Höchst unglückselige Geschichte.
Hier gab der Conte unvermittelt seine Pose auf und fragte nüchtern:
Du hast eine Verbindung zwischen ihm und diesem Signor Gamberetto festgestellt, nehme ich an.
Ja.
Da war noch so ein seltsamer Todesfall bei den Amerikanern, eine Ärztin aus dem Krankenhaus in Vicenza. Stimmt das?
Ja, sie war seine Freundin.
Eine Überdosis, soweit ich mich erinnere.
Ein Mord , berichtigte Brunetti, gab aber keine weitere Er-klärung dazu.
Der Conte verlangte auch keine, saß nur lange schweigend da und sah auf die draußen auf dem Canal vorbeifahrenden Boote. Endlich fragte er:
Was hast du vor?
Ich weiß es noch nicht , antwortete Brunetti und fragte dann seinerseits:
Ist das eine Sache, auf die du irgendeinen Einfluß hast? , womit er sich dem Grund seines Kommens näherte.
Der Conte dachte eine ganze Weile über die Frage nach.
Ich
weiß nicht genau, wie du das meinst, Guido , sagte er schließlich.
Brunetti, dem seine Frage ziemlich eindeutig erschien, ignorierte die Bemerkung des Conte und gab ihm statt dessen weitere Informationen.
In der Nähe vom Lago di Barcis ist eine solche Müllkippe.
Die Fässer und Dosen stammen vom amerikanischen Stützpunkt in Ramstein, Deutschland, und vielleicht auch von anderen; die Kennzeichnungen sind in Englisch und Deutsch.
Haben diese beiden Amerikaner die Stelle gefunden?
Ich glaube, ja.
Und danach sind sie ums Leben gekommen?
Ja.
Weiß noch jemand davon?
Ein Carabinieri-Offlzier, der auf dem amerikanischen Stützpunkt arbeitet.
Es war nicht nötig, Ambrogianis Namen mit hineinzuziehen, und Brunetti fand es unnötig, dem Conte zu erzählen, daß sonst nur noch sein einziges Kind etwas davon wußte.
Kann man sich auf ihn verlassen?
Inwiefern?
Stell dich nicht dumm, Guido , sagte der Conte.
Ich versuche
dir zu helfen.
Nicht ohne Mühe beruhigte der Conte sich wieder und fragte:
Kann man sich darauf verlassen, daß er den Mund hält?
Bis was passiert?
Bis die Sache ins Lot gebracht ist.
Und was heißt das?
Das heißt, daß ich heute abend einige Leute anrufen und sehen werde, was sich machen läßt.
Was sich womit machen läßt?
Mit dieser Müllkippe, daß sie verschwindet.
Wohin?
fragte Brunetti scharf.
Weg von dort, Guido.
In einen anderen Teil Italiens?
Brunetti beobachtete, wie sein Schwiegervater überlegte, ob er ihn anlügen sollte oder nicht. Schließlich entschied er sich aus einem Grund, den Brunetti auch nicht kannte, dagegen und sagte: Vielleicht. Aber eher außer Landes.
Bevor Brunetti weitere Fra-
gen stellen konnte, hielt der Conte beschwörend die Hand hoch.
Guido, versuch doch zu verstehen. Ich kann dir nicht mehr versprechen als das. Ich glaube, daß diese Müllkippe beseitigt werden kann, aber darüber hinaus zu gehen hätte ich Angst.
Meinst du das wörtlich mit der Angst?
Wörtlich. Angst.
Warum?
Das möchte ich lieber nicht erklären, Guido.
Brunetti beschloß, noch einen Versuch zu starten. Sie sind überhaupt nur darum auf diese Müllkippe gestoßen, weil ein kleiner Junge dort beim Herumstreifen hingefallen ist und sein Arm mit dem Zeug in Berührung gekommen ist, das aus lecken Fässern läuft. Es hätte jedes andere Kind sein können. Es hätte Chiara sein können.
Bitte, Guido, jetzt wirst du melodramatisch.
Es stimmte, und Brunetti wußte es.
Ficht dich denn das al-
les nicht an?
fragte er, unfähig, die Erregung aus seiner Stimme herauszuhalten.
Der Conte stippte eine Fingerspitze in den Tropfen Champagner, der noch in seinem Glas war, und fuhr damit um den Glasrand.
Während er den angefeuchteten Finger schneller kreisen ließ, ging ein hoher, weinerlicher Ton von dem Kristall aus und erfüllte das Zimmer. Abrupt löste er den Finger vom Glas, doch der Ton hielt an und hing im Raum wie ihre Unterhaltung. Er sah von dem Glas zu Brunetti.
Doch, Guido, es ficht mich an, aber nicht auf dieselbe Weise wie dich. Du hast dir selbst bei der Arbeit, die du machst, noch Reste von Optimismus bewahrt. Ich nicht. Weder für mich selbst noch für meine Zukunft, noch für dieses Land oder seine Zukunft.
Er blickte wieder auf sein Glas.
Es ficht mich an, daß diese
Dinge geschehen, daß wir uns selbst und unsere Nachkommen ver-giften, daß wir wissentlich unsere Zukunft zerstören, aber meiner Ansicht nach gibt es nichts – und ich wiederhole, nichts –, was wir tun
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