Endstation Venedig
Schweine! Und was passiert, wenn der Junge andere Symptome bekommt?
Was sagen sie den Eltern dann?
Vielleicht bekommt er ja keine anderen Symptome.
Vielleicht aber doch, Guido. Und dann? Was sagen die dann?
Daß sie nicht wissen, was er hat? Verlieren sie dann wieder sein Krankenblatt?
Brunetti wollte einwenden, daß er an alledem nicht schuld sei, aber da dieser Protest ihm ein bißchen dünn vorkam, schwieg er.
Nach ihrem Ausbruch sah Paola ein, wie sinnlos das alles war und wandte sich praktischeren Dingen zu.
Was willst du tun?
fragte
sie.
Ich weiß es nicht.
Er hielt inne, dann sagte er:
Ich will mit
deinem Vater reden.
Mit papà? Warum?
Brunetti wußte, welchen Zündstoff seine Antwort enthielt, aber er gab sie trotzdem.
Weil er wahrscheinlich darüber Bescheid weiß.
Sie fuhr auf, bevor sie nachgedacht hatte.
Wie meinst du das,
er weiß Bescheid? Woher denn? Wofür hältst du meinen Vater, für so eine Art internationalen Gangster?
Da Brunetti schwieg, verstummte auch sie. Hinter ihnen hörte die Waschmaschine zu schleudern auf und schaltete sich ab. Es war still in der Küche, nur ihre Frage hallte nach. Paola drehte sich um und begann die Maschine auszuräumen. Schweigend, die Arme voll feuchter Wäsche, ging sie an ihm vorbei auf die Dachterrasse hinaus, wo sie die Wäsche auf einen Stuhl legte und dann Stück für Stück auf die Leine hängte. Als sie wieder hereinkam, sagte sie nur: Na
ja, es könnte sein, daß er Leute kennt, die eventuell etwas darüber wissen. Willst du ihn selbst anrufen, oder soll ich das machen?
Ich glaube, das tue ich besser selbst.
Dann tu es gleich, Guido. Meine Mutter hat gesagt, daß sie morgen für eine Woche nach Capri fahren wollen.
Ja, gut , meinte Brunetti und ging ins Wohnzimmer, wo das Telefon stand.
Er wählte aus dem Gedächtnis und fragte sich, warum er ausge-rechnet diese Nummer, die er vielleicht zweimal im Jahr anrief, nie vergaß. Seine Schwiegermutter war am Apparat, und falls sie überrascht war, Brunettis Stimme zu hören, ließ sie sich nichts anmerken.
Sie sagte, ja, Conte Orazio sei zu Hause, stellte keine weiteren Fragen und meinte nur, sie werde ihren Mann an den Apparat holen.
Ja, Guido , sagte der Conte, als er den Hörer übernommen hatte.
Ich wollte dich fragen, ob du heute nachmittag ein bißchen Zeit für mich hast , sagte Brunetti.
Ich würde gern über etwas mit dir
reden, was sich gerade ergeben hat.
Viscardi?
fragte der Conte zu Brunettis Erstaunen.
Nein, nicht über ihn , antwortete Brunetti, dem erst jetzt einfiel, daß es viel einfacher und womöglich auch ergiebiger gewesen wäre, statt bei Fosco bei seinem Schwiegervater nach Viscardi zu fragen.
Es geht um etwas anderes, woran ich gerade arbeite.
Der Conte war viel zu höflich, um weitere Fragen zu stellen, sondern sagte nur:
Wir sind zum Abendessen eingeladen, aber wenn du jetzt gleich herüberkommen könntest, hätten wir eine Stunde für uns. Ist dir das recht, Guido?
Ja. Ich komme sofort rüber. Und vielen Dank.
Na?
fragte Paola, als er wieder in die Küche kam, wo eine weitere Ladung Wäsche in einem Meer von weißen Schaumkrönchen herumschwamm.
Ich gehe gleich mal rüber. Möchtest du mitkommen und deine Mutter besuchen?
Statt einer Antwort zeigte Paola auf die Waschmaschine.
Na gut. Dann gehe ich jetzt. Sie sind zum Essen eingeladen, das heißt, ich werde wohl vor acht wieder hier sein. Möchtest du heute zum Essen ausgehen?
Sie lächelte ihn an und nickte.
Fein. Du wählst das Restaurant aus und bestellst uns einen Tisch. Wo du willst.
Al Covo?
Zuerst die Schuhe, jetzt Essen im Al Covo. Die Küche dort war hervorragend, zum Teufel mit den Preisen. Er lächelte.
Laß einen
Tisch für halb neun reservieren. Und frag die Kinder, ob sie mitkommen wollen.
Immerhin war ihm heute nachmittag das Leben neu geschenkt worden. Warum also nicht feiern?
Als er beim Palazzo der Faliers ankam, stand Brunetti vor der Entscheidung, die ihn jedesmal hier erwartete, nämlich ob er den überdimensionalen Eisenring betätigen sollte, der an der schweren Holztür hing, und ihn gegen die Metallplatte darunter schlagen, um so seine Ankunft über den Hof schallen zu lassen, oder lieber die prosaischere Klingel. Er wählte die zweite Möglichkeit, und einen Moment später tönte eine Stimme durch die Sprechanlage, die wissen wollte, wer da sei. Er nannte seinen Namen, und die Tür sprang auf. Er trat ein, zog sie hinter sich zu und ging über den Hof zu dem
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