Endstation Venedig
Flügel des Palazzo, dessen Vorderseite zum Canal Grande hin lag. Aus einem Fenster blickte ein uniformiertes Dienstmädchen zu ihm herunter. Nachdem sie sicher war, daß Brunetti keine bösen Ab-sichten hatte, zog sie den Kopf zurück und verschwand. Der Conte erwartete ihn oben an der Treppe zu dem Teil des Palazzo, den er mit seiner Frau bewohnte.
Obwohl Brunetti wußte, daß der Conte bald siebzig wurde, konnte er, wenn er ihn sah, kaum glauben, daß er Paolas Vater war. Ihr älterer Bruder vielleicht oder der jüngste ihrer Onkel, aber gewiß nicht fast dreißig Jahre älter als sie. Das allmählich schütter werdende Haar, das er um das glänzende Oval seines Kopfes kurzge-schnitten trug, deutete zwar auf sein Alter hin, doch seine straffe Gesichtshaut und der klare, intelligente Glanz seiner Augen ließen es vergessen.
Wie nett, dich zu sehen, Guido. Du siehst gut aus. Wir gehen am besten in mein Arbeitszimmer, ja?
sagte der Conte, drehte
sich um und führte Brunetti in den vorderen Teil des Hauses. Sie durchquerten einige Zimmer, bis sie endlich das helle Arbeitszimmer des Conte mit Blick auf den Canal Grande erreichten, der an dieser Stelle in einer Biegung auf den Ponte dell’Accademia zuführte.
Möchtest du etwas trinken?
fragte der Conte, wobei er an ein Si-
deboard trat, auf dem eine bereits geöffnete Flasche Dom Perignon in einem eisgefüllten silbernen Kübel stand.
Brunetti kannte seinen Schwiegervater gut genug, um zu wissen, daß dies absolut nicht aufgesetzt war. Hätte der Conte lieber Coca-Cola getrunken, so wäre in demselben Eiskübel eben eine anderthalb-Liter-Plastikflasche gewesen und er hätte seinen Gästen in derselben Weise davon angeboten.
Ja, gern, danke , sagte Brunetti. Eine gute Einstimmung auf den Abend im Al Covo.
Der Conte goß Champagner in ein frisches Glas, füllte sein eigenes auf und reichte Brunetti das erste.
Wollen wir uns hinsetzen,
Guido? fragte er und steuerte auf zwei Sessel mit Blick aufs Wasser zu.
Als sie es sich bequem gemacht hatten und Brunetti seinen Champagner probiert hatte, fragte der Conte: Was kann ich für dich
tun?
Ich möchte dich um einige Informationen bitten, weiß aber nicht recht, wie ich meine Fragen formulieren soll , begann Brunetti, der entschlossen war, die Wahrheit zu sagen. Er konnte den Conte kaum bitten, für sich zu behalten, was er ihm erzählte; eine solche Kränkung würde er schwer verzeihen können, selbst dem Vater seiner einzigen Enkel.
Ich wüßte gern alles, was du mir über einen Signor Gamberetto aus Vicenza sagen kannst, der eine Spedition und offenbar auch ein Bauunternehmen hat. Ich weiß nichts weiter von ihm als seinen Namen. Und daß er möglicherweise in etwas Illegales verwickelt ist.
Der Conte nickte, was heißen sollte, daß der Name ihm bekannt war, er es aber vorzog, erst einmal zu hören, was sein Schwiegersohn noch alles wissen wollte.
Und dann wüßte ich noch gern, was das amerikanische Militär erstens mit Signor Gamberetto und zweitens mit der illegalen Lage-rung toxischer Substanzen zu tun hat, die offenbar in diesem Land stattfindet.
Er nippte an seinem Champagner.
Ich bin dankbar
für alles, was du mir darüber sagen kannst.
Der Conte trank aus und stellte sein Glas neben sich auf ein In-tarsientischchen. Er schlug seine langen Beine übereinander, wobei eine lange schwarze Seidensocke sichtbar wurde, und legte die Finger unter dem Kinn zu einer Pyramide zusammen.
Signor Gam-
beretto ist ein ganz besonders unangenehmer Geschäftsmann mit ganz besonders guten Beziehungen. Er besitzt nicht nur die beiden Unternehmen, die du genannt hast, Guido, sondern auch noch ei-ne große Hotelkette, Reisebüros und Ferienanlagen, viele davon im Ausland. Außerdem wird gemunkelt, er habe sich in letzter Zeit ins Waffen- und Munitionsgeschäft eingekauft und sich dazu mit einem der wichtigsten Hersteller in der Lombardei zusammengetan. Viele dieser Firmen laufen auf den Namen seiner Frau, weshalb sein Name in den einschlägigen Zeitungen nicht auftaucht, in den entsprechen-den Verträgen ebensowenig. Die Baufirma läuft, glaube ich, auf den Namen seines Onkels, aber da könnte ich mich auch irren.
Wie so viele unserer neuen Geschäftsleute , fuhr der Conte fort, ist er merkwürdig unsichtbar. Aber er hat mehr einflußreiche Freunde und Bekannte als die meisten. Sie sitzen gleichermaßen in der sozialistischen wie in der christlich-demokratischen Partei, keine schlechte Leistung, und er ist auf
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