Endstation Venedig
standen. Es waren zwei uniformierte Carabinieri mit lässig an der Seite hängenden Maschinenpistolen und ein amerikanischer Soldat im Kampfanzug. Der Fahrer nahm den Fuß vom Gas und winkte flüchtig in Richtung der Maschinenpistolen, deren Träger den Gruß erwiderten, indem sie die Mündungen senkten und dem Wagen dann mit den Läufen in den Stützpunkt folgten. Der Amerikaner folgte ihnen, wie Brunetti feststellte, nur mit Blicken, machte aber keine Anstalten, sie anzuhalten. Ein rascher Rechtsschwenk und noch einer, dann hielten sie vor einem niedrigen Betongebäude.
Hier ist unsere Station , sagte der Fahrer.
Maggior Ambrogianis Büro ist das vierte rechts.
Brunetti bedankte sich und ging hinein. Der Fußboden war offenbar aus Beton, und an den Wänden hingen Anschlagtafeln mit angehefteten Zetteln in englischer und italienischer Sprache. Links wies ein Zeichen zur >M.P. Station<. Ein Stück weiter entdeckte er neben einer Tür den Namen >Ambrogiani< auf einer Karte. Kein Dienstgrad, nur der Name. Er klopfte, wartete auf das laute Avanti
von drinnen und trat ein. Ein Schreibtisch, zwei Fenster, eine Topfpflanze, die dringend Wasser brauchte, ein Kalender und hinter dem Schreibtisch ein Bulle von einem Mann, dessen Hals sich offen gegen den engen Kragen seines Uniformhemdes auflehnte. Seine brei-ten Schultern drängten gegen den Stoff seiner Uniformjacke; sogar die Handgelenke schienen allzu eng in den Manschetten eingezwängt.
Auf der Schulter erkannte Brunetti den gedrungenen Turm und den einzelnen Stern eines Maggiore. Er stand bei Brunettis Eintreten auf, warf einen Blick auf die Uhr, die sein Handgelenk umspannte, und sagte:
Commissario Brunetti?
Ja.
Das Lächeln, das sich auf dem Gesicht des Carabiniere ausbreitete, glich in seiner schlichten Herzlichkeit fast dem eines Engels.
Mein Gott, der Mann hat ja Grübchen, dachte Brunetti bei sich.
Ich bin froh, daß Sie in dieser Sache extra aus Venedig kommen konnten.
Er kam mit erstaunlicher Anmut um den Schreibtisch herum und zog einen Stuhl heran.
Hier, nehmen Sie bitte
Platz. Möchten Sie einen Kaffee? Legen Sie Ihre Tasche doch auf den Tisch.
Er wartete auf Brunettis Antwort.
Ja, ein Kaffee täte gut.
Der Maggiore ging zur Tür, öffnete sie und sagte zu jemandem im Flur:
Pino, bring uns zwei Tassen Kaffee und eine Flasche Mineralwasser.
Er kam zurück und nahm seinen Platz hinter dem Schreibtisch wieder ein. Tut mir leid, daß wir keinen Wagen direkt nach Venedig schicken konnten, aber es ist schwierig, heutzutage eine Genehmigung für Fahrten außerhalb der Provinzgrenzen zu bekommen. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt.
Wie Brunetti aus langer Erfahrung wußte, war es notwendig, solchen Dingen eine angemessene Zeit zu widmen und ein bißchen zu sondieren und herumzustochern, um sein Gegenüber richtig einschätzen zu können, und das ging nur über den Austausch freundlicher Nichtigkeiten und höflicher Fragen.
Mit dem Zug gab’s gar kein Problem. Ganz pünktlich. Padua voller Studenten.
Mein Sohn studiert dort , erklärte Ambrogiani.
Ach ja? Welche Fakultät?
Medizin , antwortete Ambrogiani kopfschüttelnd.
Ist die nicht gut?
fragte Brunetti ehrlich erstaunt. Er hatte sich immer sagen lassen, daß die Universität von Padua die beste medizinische Fakultät des ganzen Landes habe.
Nein, das ist es nicht , antwortete der Maggiore mit einem Lächeln. Ich bin nicht sehr glücklich über seine Berufswahl als Mediziner.
Wie? entfuhr es Brunetti. Das war doch der Traum jedes Italieners: ein Polizist, dessen Sohn Medizin studierte.
Warum nicht?
Ich wollte, daß er Maler wird. Wieder schüttelte er traurig den Kopf.
Aber er will Arzt werden.
Maler?
Ja , antwortete Ambrogiani, und mit einem erneuten Grüb-chenlächeln fügte er hinzu:
Aber kein Anstreicher.
Er deutete zu
der Wand hinter sich, und Brunetti nahm die Gelegenheit wahr, sich die zahllosen kleinen Bilder näher anzusehen, die dort hingen. Viele waren Seestücke, einige zeigten Burgruinen, alle im zarten Stil der neapolitanischen Schule des achtzehnten Jahrhunderts.
Hat Ihr Sohn die gemalt?
Nein , sagte Ambrogiani,
das dort drüben.
Er deutete auf
die Wand links neben der Tür, und Brunetti sah das Portrait einer alten Frau, die einen halbgeschälten Apfel zwischen den Händen hielt und den Betrachter frech anstarrte. Der Darstellung fehlte die Empfindsamkeit der anderen, obwohl sie auf eine hübsche, konven-tionelle Weise gut war.
Wären die anderen von
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