Endstation Venedig
Herzen, als er sagte: Ich hoffe, ihr werdet beide glücklich, Riccardo.
Danke, Guido. Und wenn ich noch irgend etwas über diesen Kerl höre, rufe ich dich an, ja?
Danke. Das wäre nett.
Mit weiteren guten Wünschen verabschiedete sich Brunetti und legte auf. Konnte es so einfach sein? Konnten geschäftliche Verlu-ste Viscardi dazu getrieben haben, etwas so Überstürztes wie einen bestellten Einbruch zu organisieren? Nur jemand, der fremd in Venedig war, konnte auf Ruffolo verfallen, einen jungen Mann, der sich ungleich besser aufs Geschnapptwerden verstand als auf sein kriminelles Handwerk. Aber vielleicht hatte die Tatsache, daß er erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassen worden war, als Empfehlung genügt.
Er konnte heute nichts weiter hier tun, und Patta war garantiert der erste, der von polizeilicher Brutalität reden würde, wenn ein Millionär am selben Tag von drei verschiedenen Polizisten vernommen wurde, vor allem während der Mann auch noch im Krankenhaus war. Es hatte ebenfalls keinen Sinn, an einem Tag nach Vicenza zu fahren, an dem die Büros der Amerikaner geschlossen waren, obwohl es vielleicht einfacher war, sich über Pattas Befehl hinwegzusetzen, wenn er es in seiner Freizeit tat. Aber nein, Doctor Peters sollte ruhig bis zur nächsten Woche um den Köder herumschwimmen, dann konnte er immer noch einmal sanft an der Schnur rucken. Heute würde er seine Angel in venezianischen Gewässern auswerfen und sich eine andere Beute vornehmen.
Während der kurzen Perioden, in denen er nicht im Gefängnis saß, wohnte Giuseppe Ruffolo bei seiner Mutter in einer Zweizim-merwohnung beim Campo San Boldo, einer Gegend, die von der Nähe zu dem Turmstumpf dieser Kirche geprägt war, wo es keine bequem erreichbare Vaporettoanlegestelle gab, und, wenn man die Nähe
auf die Kirche San Simeone Piccolo ausdehnen wollte, auch durch diese, wo die sonntägliche Messe noch in Latein gehalten wurde, in offener Verhöhnung aller Vorstellungen von Modernität oder Zweckdienlichkeit. Die Witwe Ruffolo hatte die Wohnung von einer öffentlichen Stiftung, die ihre diversen Unterkünfte an Leute vermietete, die als ausreichend bedürftig eingestuft waren, zugeteilt bekommen. Normalerweise waren das Venezianer; wie Signora Ruffolo daran gekommen war, blieb ein Geheimnis, obwohl ihre eindeutige Bedürftigkeit von keinerlei Geheimnis umgeben war.
Brunetti überquerte die Rialto-Brücke und ging an San Cassiano vorbei, dann links, bis er zu seiner Rechten den gedrungenen Turm von San Boldo sah. Er bog in eine enge Calle ein und blieb vor einem niedrigen Haus stehen. Der Name
Ruffolo
war in zierlicher
Schrift rechts von der Klingel auf einem metallenen Schild eingra-viert; Roststreifen verfärbten unter beiden den Verputz, der schon von der Hauswand blätterte. Er klingelte, wartete einen Augenblick, klingelte wieder, wartete und klingelte ein drittes Mal.
Ganze zwei Minuten nach seinem letzten Klingeln hörte er eine Stimme von drinnen fragen:
Si, chi è?
Ich bin’s, Signora Concetta, Brunetti.
Als sie die Tür aufmachte, hatte er wie jedesmal den Eindruck, statt einer Frau ein Faß vor sich zu sehen. Signora Concetta war vor vierzig Jahren einmal die herausragende Schönheit von Caltanisetta gewesen. Der Überlieferung nach waren junge Männer stundenlang in der Nähe ihres Hauses herumspaziert, nur um vielleicht einen Blick auf die schöne Concetta zu erhaschen. Sie hätte jeden haben können, vom Sohn des Bürgermeisters bis zum jüngeren Bruder des Arztes, sie aber wählte den dritten Sohn der Familie, die einst die ganze Provinz mit eiserner Faust regiert hatte. Sie war eine an-geheiratete Ruffolo, und als Annunziatos Schulden sie aus Sizilien vertrieben, war sie zu einer Fremden in dieser kalten und ungastli-chen Stadt geworden. Bald darauf war sie verwitwet und lebte nun von einer Rente, die aus dem Staatssäckel und der Mildtätigkeit der Familie ihres Mannes stammte, und noch bevor Giuseppe die Schule beenden konnte, war sie zur Mutter eines Kriminellen geworden.
Seit dem Tag, an dem ihr Mann gestorben war, ging sie ganz in Schwarz: Kleid, Schuhe, Strümpfe, sogar das Tuch, das sie trug, sowie sie das Haus verließ. Auch wenn sie mit den Jahren immer runder wurde und ihr Gesicht vor Kummer über den Lebenswandel ihres Sohnes immer faltiger, das Schwarz blieb, und sie würde es bis ins Grab tragen, vielleicht noch darüber hinaus.
Buon giorno, Signora Concetta , begrüßte Brunetti sie lächelnd und
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